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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Doch hatte sich das erst herausgestellt, nachdem der Kauf des Tickets unmöglich rückgängig zu machen war.
    Burkhart trat dicht an den Spiegel heran. Lange durchforschte er sein ovales Jungengesicht, blinzelte in die hellgrauen Puppenaugen. Seine Augäpfel fand er selber schön, er freute sich über sie, über die langen, dichten dunklen Wimpern wie auch über die ebenmäßigen, skeptisch hochgezogenen Brauen, die nur einen Hauch dunkler waren als sein aschblondes Haar; doch ärgerte er sich über seine nicht vollkommen gleichmäßigen, etwas fleischigen Lippen, denn ihm war nicht bewusst, dass gerade sie seinem Jungengesicht einen reifen, erregenden Reiz verliehen.
Im Bademantel ging Burkhart nach nebenan, um Gläser und Flaschen aus dem Wohnzimmer in die Küche zu räumen. Unwillkürlich dachte er an Anica. Es war richtig gewesen, von ihr wegzugehen, ich hätte niemals das Risiko teilen wollen, das sie auf sich nahm, als sie den Dienst bei der Kriminalpolizei aufgab, um sich freiberuflich zu betätigen. Bei ihrer eigenartigen Ausbildung hatten sich für sie, als Frau noch dazu, wenig Möglichkeiten geboten, und sie hatte sich schwer getan, in den freien Journalistenberuf zu finden mit dem langfristigen Plan, eine eigene Agentur zu gründen. Es war ein schneller, harter Entschluss gewesen, sich von ihr zu trennen. Doch Anica hatte immer Freunde, die es auch blieben, nachdem sie sie verlassen hatten oder sie selbst eigene Wege gegangen war. Für Burkhart nahm sich sein damaliger Entschluss aus wie eine Flucht vom Regenschauer in Gewitterhagel. Der Traum von der Erfüllung des Lebens in Wohlstand und Zufriedenheit, fern aller Gefahr, hatte sich bis jetzt als Utopie herausgestellt. Er liebte kalkulierbare Risiken wie seine Frau und ihren Vater, und war auf prekäre Umwege in eine ruhige, sichere Existenz nicht eingestellt. Er kippte den Inhalt der Aschenbecher in den Mülleimer. Ob Anica mich, wie versprochen, anruft, ehe sie nach Srebrenica reist? Werde ich den Mut aufbringen, ihr zu sagen, worum es mir geht? Mit niemandem habe ich darüber sprechen können, am wenigsten mit Mary-Jo, obwohl sie mich höchstwahrscheinlich würde verstehen können.

18 Anicas Hotelzimmer
     
    Anica erhob sich schlaftrunken, taumelte zur Duschkabine. Djmal hatte sie pünktlich geweckt und ihren Alptraum abgebrochen. Nachdem Savka den Jungen behutsam, aber bestimmt aus dem Zimmer gedrängt hatte, blieb das Mädchen an der Tür stehen, um zu fragen: „Kaffee, Gospodjice?“
    „Sehr viel Kaffee, ein Ei, Toast und Peperoni“, rief sie. „Jede Menge Peperoni, auf dass sich die Gefäße öffnen, wie es heißt.“
    Savka begriff nicht, welche Gefäße aufgehen könnten, lief indes fröhlich in die Küche und bestellte das Frühstück. Sie amüsierte sich wieder über die Deutsche, die morgens immer schon in die ungewöhnlich scharfen Schoten biss, die sonst kaum ein Ausländer anrührte. Als das Mädchen mit dem Tablett im Hotelzimmer erschien, spulte Anica gerade ein Band zurück. Savka musste lachen über die lustig rückwärts laufenden Bilder auf dem Monitor, die zeigten, wie menschlicher Kot vom Rinnstein seinen Weg zurück fand in den After dieses älteren Mannes von der Straße unten und die Brotlaibe blitzgeschwind gen Himmel auffuhren, bevor sie schleppend langsam wieder herabschwebten und aus dem Korb verschwanden. Anica dagegen fiel die seltsame Symbolik auf der in falsche Zeitrichtung spielenden Aufnahmen, wo der Zustand vorher besser war als hernach. Sie legte ein zweites Tape ein. Es waren freilich erschütternde, Abscheu erregende Bilder. Ein Freund hatte dringend nach dem Band gefragt; es zeigte eine glatte Schneedecke, in dicke Mäntel und lange Schals gemummte Gestalten kratzten sie mit Spaten ab, bis unter dem Schnee hastig aufgeworfene Brocken gefrorener Erde auftauchten, darunter barfüßige, halbnackte Leiber, von Männern, Frauen und Kindern, mit gequält verrenkten, zur Seite gebogenen Köpfen, mit starren Hälsen, mit ausgestreckten eisigen Armen, mit verkrampften Fingern und schmutzigen Fingernägeln, die noch die Erde zerkratzt hatten, bevor diese Menschen erst zuletzt gestorben waren. Anica erinnerte sich, dass im Spätherbst eine dieser Gruben geöffnet worden waren, um sich davon zu überzeugen, ob die Serben einen bestimmten Gefangenen wirklich erschossen oder nur so getan hatten, während sie ihn tatsächlich zur Zwangsarbeit in ein Lager schickten. Im Frühjahr hatte sie dann mit ihren eigenen Augen den

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