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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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sich sicher, dass hinter Felsspalten und Nadelgehölz die Späher der Rebellen lauerten. Üblicherweise baute man Maschinengewehrnester in einen Felsen hoch über dem Steilufer, um die Serpentinen und Flussbiegungen mit heimtückischen Garben bestreichen zu können. Doch niemand schoss auf das sich verführerisch anbietende, auf den weißen Gischtkämmen torkelnde Ziel.
    Der Steuermann, der einige Jahre als Besatzungsmitglied eines rheinischen Ausflugsschiffes saisongearbeitet hatte, lehnte gelangweilt am heckseitigen Backbordwulst. Mit einem Druck auf den Anlasserknopf konnte er jederzeit den Motor anspringen lassen, eine Sekunde später würde das Boot davon schießen. Der zweite Mann am Heck war ein deutscher Söldner, der als Scharfschütze gutes Geld machte, rundlich, kleinwüchsig und ein großer Schweiger. Seine Körpersprache stand insgesamt in krassem Gegensatz zu seiner hektischen Qualmerei von filterlosen Zigaretten und den abgeknabberten Fingernägeln. Außerdem nagte er ständig an der Innenseite der Unterlippe, und wenn er einmal redete, sprach er leise, gab sich zurückhaltend und lächelte kaum. Die dritte landesfremde Militärperson an Bord – mit einem Fotoapparat auf der Brust wie ein Tourist – war ein altgedienter Legionär, ein großer, muskelbepackter Blondschopf, der mehrere Jahre Stabsoffiziersdienst in Südafrika auf dem Buckel hatte. In den schweren Pranken hielt er wie ein Kinderspielzeug ein Automatgewehr, eine ziemlich klobige Waffe, deren Lauf von einem durchlöcherten Schutzmantel aus silbrig glänzendem Blech umhüllt wurde. Die Journalistin konnte ihn in ein Gespräch verwickeln. „Top-Job“, war seine Aussage, „laufend gibt es Zulagen. Das ist das Beste. Es bringt einiges ein, und du hast was zu sagen. Nebenbei kann man diesen Halbaffen hier beibiegen, wie Krieg geführt wird.“
    Die Halbaffen waren die beiden bosnischen MG-Schützen, in scheckige Uniformen gesteckt mit NVA-Stahlhelmen, M-2-Karabinern, Handgranaten und Munitionsgürteln versehen, die sich bemühten, grimmige, kampfentschlossene Gesichter zu machen, wenn sie sich von den Kriegerprofis überwacht glaubten. Unbeobachtet zeigten ihre kindhaft-weichen Mienen bisweilen schiere Angst.
    Sie musterten das Ufergelände misstrauischer als ihre fremdländischen Kameraden. Überall war der Tod gegenwärtig, jedoch verspürten sie keine Sehnsucht zu sterben, jetzt, wo sie als reguläre Soldaten regelmäßig Löhnung bezogen. Auch bescheidene Geldbezüge verführten.
    Wie trügerisch erweisen sich im Krieg diese Willensstärke ausstrahlenden Gesichter, dachte die Reporterin, während sie den Blick von einem zum anderen der jugendlichen Charakterköpfe schweifen ließ, wenn die Angst sie mit ihren Klauen greift, sie packt, ausquetscht, bis zur Unkenntlichkeit verzerrt und in aschfahle, käsebleiche Fratzen verwandelt.
Und für Anica selbst reichten trotz jahrelanger Erfahrung als Kriminalkommissarin immer noch ein paar Schüsse, einen Kilometer weit weg im Dunkeln abgefeuert, und schon kniete ihr ein Walross auf der Brust und drücke ihr für einen Atemzug die Seele in die Stiefel hinunter, was ihr freilich niemand anmerkte.
    „Nichts“, sagte der blonde Legionär zu der Journalistin. Vage deutete er mit dem Gewehr auf die steilaufragenden Berghänge zu beiden Seiten des Flusses. Er trug keinen Stahlhelm, sondern einen buntgescheckten Buschhut, die Krempe an der Seite kühn hochgebogen. Wenn er schwitzte, wischte er sich damit Gesicht und Nacken ab. Schmutzig und schweißzerfressen trug er den Safarihut wie andere Leute ihren Talisman. „Manchmal habe ich Angst“, vertraute er der Reporterin an, „der Krieg könnte enden, bevor ich mittendrin gewesen bin.“
    „Das einzige, was du auf dieser Erde fürchtest“, warf der Steuermann ein, „ist wohl, dass du wieder daheim im Bett bei deiner Frau liegst, anstatt überglücklich gegen serbisches Granatfeuer vorzurücken.“
    Der Legionär winkte geringschätzig ab, und seine verkniffenen Augen verrieten Anica, dass er bei all seinem martialischen Aussehen und Gehabe keineswegs einen tapferen Charakter besaß. Die Journalistin war diesem Typ Held nicht zum ersten Mal begegnet. Solch ein Mann brauchte nun mal maskulines Outfit und den dekorativen Schleier von Bändern, lobenden Erwähnungen, Auszeichnungen und Orden, wohinter er den wimmernden, bibbernden Embryo verstecken konnte, der er in Tag und Wahrheit eigentlich war, also im Grunde seines Gemüts ein Schlappschwanz,

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