Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
der es innerlich selber fühlte, gleichwohl dieser Tatsache nicht ins Auge sehen konnte. So einer musste sich Panzern entgegenwerfen oder doch zumindest den Finger um den Abzugshebel krümmen, wie sehr er sich auch fürchtete, zwanghaft, nur um vor sich selbst als ganzer Kerl da zustehen. Und auf dem gesamten balkanesischen Kriegsschauplatz gab es nicht genügend Feuerkraft, um einen Mann in solch einem Stadium prahlerischer Selbstverwirklichung abzuschrecken.
„Lassen Sie den Scheinwerfer einen Augenblick brennen“, bat die Journalistin scheinbar unbeteiligt. „Ich will Aufnahmen über das MG hinweg auf das angestrahlte Ufer machen.“
„Okay“, willigte der Sergeant ein. „Machen Sie schnell. Wir müssen wieder.“
Anica stieg über den Munitionskasten auf den Versteifungsplanken nach vorn. Das sind die Abschlussaufnahmen, dachte sie. Damit habe ich einen Beitrag komplett. Das bringt mindestens fünf Minuten für Weltfocus. Mit zugekniffenem Auge blickte sie durch den Sucher auf den winzigen Farbmonitor, der gestochen scharf den Bootsbug und die Männer widergab, den verständnislosen Gesichtsausdruck des blonden Riesen mit dem albernen Löwenjägerhut, die Waffen, die glitzernde Flussströmung bei Nacht, das unheimliche Ufer mit dem Lichtfleck auf der Steilwand über dem Taleinschnitt, im Vordergrund die Konturen des MG mit dem Nachtsichtgerät und die Silhouette eines Kopfes.
Das Sprechfunkgerät des Legionärs quäkte, mit einem Wink befahl er, die Suchstrahler zu löschen, und sagte: „Wirf den Motor an, Chief. Wir sollen abbrechen. Es geht zurück.“ Die Schraube begann sich zu drehen. Heftig vibrierte die Bootswandung. „Hier ist der Rückzug noch möglich“, fügte er an die Reporterin gewandt hinzu, „die Wassertiefe ausreichend und die Strömungsverhältnisse noch zu bewältigen.“
„Ich wäre jetzt lieber auf dem Rhein“, sagte der Steuermann zu Anica. „Im Tal der Loreley und gleich in Ka-Os Winkel in Bad Salzig ein Bier schlürfen.“
„Warum bist du dann hierher gekommen?“ fragte der Legionär voller Ironie. „Am Rhein kannst du zivilisiert leben wie ein ganz normaler Mensch, mit Kino am Abend und einer Bar danach sowie einer netten Dame. Mein Bruder war ein paar Jahre dort. Hat ihm nicht übel gefallen. Doch nicht jeder weiß es offenbar zu schätzen. Riskiert lieber sein bisschen Leben.“
„Ohne Risiko lässt es sich nirgendwo leben und noch weniger Krieg führen.“
„Manchmal ein Vabanquespiel, von dem du niemals weißt, wie es ausgeht.“
„Man muss eben tapferer sein als die anderen.“
„Was heißt schon tapfer? Das Gewehr schneller hochreißen und besser schießen.“
„Und treffen, auf jeden Fall. Im Krieg wird getötet; das gehört dazu. Und da gehört was dazu. Zum Beispiel Tapferkeit.“
„Ist tapfer, wer töten kann, oder wer das Richtige im richtigen Augenblick tut und dabei den Tod nicht fürchtet?“ fragte die Journalistin.
„Natürlich der, der auf die Gefahr hin, getötet zu werden, sich nicht davon abhalten lässt, seine Pflicht zu tun“, antwortete der Steuermann.
„Die Tapferen kommen immer voran“, ergänzte der Blonde großspurig. „Und stockt es einmal, dann findet sich für die Mutigen stets etwas, womit ihnen geholfen werden kann.“
„Aber womit kann man einem Feigling helfen?“
„Mit überhaupt nichts. Der Feigling denkt so: Mögen andre sterben, Hauptsache, ich kann leben.“
„Am schlimmsten sind die Typen, die den Mut ihres Vorgesetzten vor den Kameraden über Gebühr herausstreichen, die ihm vorhalten, er hüte sein wertvolles Leben zu wenig; das sind die größten Memmen. Wer selbst mutig ist und ehrlich besorgt, der wird nicht viele Worte verlieren, sondern sich ihm hübsch still an die Seite stellen und ihn mit seinem Körper decken.“ Der Patrouillenführer griff hinter sich, nahm aus einer Aluminiumkiste zwei Büchsen Bier und reichte Anica eine davon. „Das einzige, was an den Rest der Welt erinnert“, sagte er und bog einhändig mit dem Daumennagel den Aluminiumring hoch. Die Reporterin hatte es ihm gleichgetan, zischend und spritzend und schäumend quoll das Bier hervor.
„Ich habe noch nie eine Bierdose öffnen können“, erklärte sie, „ohne dass mir der Inhalt ins Gesicht gespritzt ist.“
Er verzog leicht die Mundwinkel. „Alles Scheiße, ja“, sagte er. „Die große Balkan-Scheiße. Hitze und Staub, Stechmücken und Halbaffen. Und warmes Bier am Arsch der Welt.“ Er setzte die Dose an die
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