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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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in einer Stadt ohne Frieden, ohne Stille in den Nächten. Dragan spürte die nachklingende Vibration der Tupolew in seinem Körper, dann fielen ihm die Augen zu. Im Traum sah er eine große, zu Skeletten abgemagerte Menschenmenge in Lumpen, die die Zähne in einen Personenwagen neuesten Modells schlug und es verschlang, dann ebenso mit einem modernen Truck, beladen mit Lebensmitteln, verfuhr, und schließlich sein Frachtflugzeug bedrohte, das er im letzten Augenblick aus der Gefahrenzone pilotieren konnte; dabei brach jedoch ein Flügel ab und das Flugzeug geriet ins Trudeln. Dragan wollte mit dem Fallschirm abspringen, bekam jedoch die Luke nicht auf; er hämmerte dagegen, es tat sich nichts, er hämmerte und hämmerte...

21 Rafting auf der Drina
     
    Die TV-Reporterin Anica Klingor stemmte sich gegen die Bordwand des motorisierten Schlauchbootes, nahm die Kassette aus der Kamera und legte eine neue ein. Währenddessen beobachtete sie, wie die beiden MG-Schützen am Bug ihre leichte Degtjarjow von einem zum anderen Ufer schwenkten. Der Motor wurde gestoppt, das Boot verlor an Fahrt. Bald schlingerte das plumpe Fahrzeug sanft auf der zunächst gemächlich fließenden Drina.
    Als die Journalistin sich zu dem Unternehmen gemeldet hatte, war sie die Reihe herunter geschickt worden von einem Oberst zu einem Major zu einem Hauptmann zu einem Leutnant zu einem Feldwebel, der einen Seitenblick auf sie geworfen, sie Frischfleisch genannt und gesagt hatte, sie solle sich eine andere Einheit suchen, um sich umbringen zu lassen. Sie hatte nicht gewusst, wo sie dran war, war ein wenig nervös geworden, so dass sie angefangen hatte zu lachen. Dem vollbärtigen Unteroffizier, der jetzt das Boot steuerte, sagte sie, wer sie geschickt hatte und dass ihr schon nichts passieren würde, worauf er ihr einen sanften, beschwichtigenden Klaps auf den verlängerten Rücken gab mit den Worten: „Wir machen hier keinen Scheiß-Film, kapiert, Süße?“ Sie war wieder in Lachen ausgebrochen, das wüsste sie, aber er hatte ausgesehen, als wüsste er, dass sie es nicht wusste. Stillschweigend, widerstrebend hatte er ihr ihren Willen gelassen und sich den steifen grünbraunschwarz gescheckten Stetson tief ins Gesicht gezogen.
Sie waren seit Anbruch der Dämmerung unterwegs von dem orientalischen Städtchen Foca aus, gelegen an der alten Karawanenstraße Dubrovnic-Nis-Konstantinopel. Ziel war Gorazde, das sie bei Dunkelheit zu durchschiffen dachten.
Anica nahm zum ersten Mal an einer Patrouillenfahrt mit dem Schlauchboot teil. Früher hatten die Bosniaken Rafting für zahlende Touristen mit den Wasserfahrzeugen veranstaltet, nun flitzten sie in den Nachtstunden durch die Schlucht, bestückt mit leichten Maschinengewehren, kleinen, handlichen Flammenwerfern und starken Halogenstrahlern. Die bosnischen Serben hatten den Fluss mit seinen reißenden Strudeln und unberechenbaren Stromschnellen so gut wie völlig unter Kontrolle. Die Friedlichkeit dieser Minute ließ Anica Zeit, den Blick zu den Steilufern wandern zu lassen, wo ab und zu vermummte Gestalten auf ihren behäbigen Maultieren grüßend winkten oder ein speerschlankes Minarett den Orient anzeigte. Die Reporterin hatte erfahren, dass die muslimischen Rebellen den reißenden Fluss zu Versorgungsfahrten mit Flößen nutzten. Der Nachschub von Waffen, aber vor allem von Lebensmitteln und Treibstoff auf der Drina sollte strikt unterbunden werden, nicht zuletzt in der Hoffnung, den Gegner einmal bei seinen nächtlichen Truppenbewegungen auf diesem Wege zu ertappen. Hier und da wurde von den Schlauchbooten ein Holzfloß aufgebracht, das mit Gemüse und Fleischkonserven, meist aus Spenden des Auslands, oder Benzinkanistern aus dem griechischen Mazedonien beladen war.
    An einer Flussbiegung verlief die Karawanenstraße sehr nahe am Steilufer. Wer war in diesen Tagen nicht alles auf dieser alten Handelsverkehrsader unterwegs! Die Menschen flüchteten vor den jählings einsetzenden Granatenangriffen von der gegenüberliegenden Anhöhe in den Wald, suchten in den Straßengräben Schutz, rafften sich wieder auf, und wieder maßen sie die Straße mit ihren todmüden Füßen. Unvorstellbare Fahrzeuge wurden benutzt von Tausenden von Menschen, sie fuhren mit altersschwachen Taxis, rostigen Traktoren mit überladenen Anhängern und anderen Gefahren wie selbstzusammengeschweißten Rikschas mit und ohne Motorantrieb, es fuhren Greise mit Bärten und Pitjas auf den Köpfen, es fuhren erschöpfte, vorzeitig

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