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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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will dich entführen“, antwortete er sich zu ihr umwendend. „Rüber zu uns nach Hause. Wir geben uns ein paar Tage frei.“
    Anica zog ihn an sich und wirbelte ihn im Zimmer umher. Sogleich fingen die Wände an, sich um sie zu drehen. „Du bist verrückt“, rief sie. „Aber jetzt ist keine Zeit zum Diskutieren. Ich dusche geschwind.“ Es gelang ihr, den letzten Knopf zu lösen.
    Er half ihr aus der verdreckten Kleidung, und als sie dann aus der Duschkabine torkelte, war er bei ihr und führte sie kopfschüttelnd zu Bett. Er beugte sich über sie, küsste ihre Hände, ihr Gesicht, küsste sie zärtlich und ausdauernd, um sie seine Liebe fühlen zu lassen.
    Sie lag reglos da, matt, lag da und ließ mit sich geschehen. Dann auf einmal, wie aus einem Traum gerissen, richtete sie sich auf und warf sich auf ihn, wollte ihn nicht loslassen, wollte, dass er sie nahm, sagte Dinge, die sie vorher nie gesagt hatte. Unvermittelt ermattete sie wieder, rollte von seinem Körper herunter, und wenige Augenblicke nur wehrte sie sich gegen die wohltuende, bleierne Mattigkeit, ergab sich schließlich der sie übermannenden Erschöpfung.
    „Ja, gib endlich auf“, flüsterte er, „und schlaf. Schlaf, meine süße, kleine Saufmaus. Und ich werde, noch bevor du aufwachst, die Ausreisegenehmigungen haben.“
    Sie hörte es nicht mehr und fühlte nicht seinen Kuss. Er zog ihr die Bettdecke über und die Vorhänge zu. Der Tag begann zu grauen, sein Licht sollte die Schläferin nicht stören. Dragan hockte sich neben sie auf die Bettkante, strich ihr zwei Haarsträhnen von der hohen Stirn. Er sah sie tief und gleichmäßig atmen, erhob sich und trat vor den Spiegel. Einen Augenblick lang betrachtete er sich, das jünglingshafte, nur ganz zarte Ansätze von Falten aufweisende Gesicht, trotzig, umrahmt von fliegendem Haar, den halbgeöffneten Ephebenmund, die kühne Stirn und die hervorstehenden Wangenknochen, die ihm etwas Vergeistigtes gaben. Sein Blick fiel auf die Hände, die schmal waren und beinahe zart. Er strich sich über sein stoppeliges Kinn, bevor er sich vollends auszog und neben Anica unter die Decke legte. Ich werde bei ihr sein, dachte er, wenn sie aufwacht. Mittag wird es wohl werden, ehe sie wieder zu sich kommt. Ich werde meinen Arm ausstrecken, an ihrer Hand zupfen, bis sie die meine drückt. Sie wird den Kopf in die Beuge meines Armes legen und sich über meinen stacheligen Bart beschweren, der ihre Haut kratzt, sie wird mein gekräuseltes Brusthaar kraulen, dieses Rudiment unserer animalischen Vergangenheit. Ich werde ihr sagen, dass ich unendlich glücklich bin, doch sie wird so tun, als ob sie nur aus einer Laune heraus mit mir zusammen wäre. Eine alte Weisheit besagt, man soll lange warten, bevor man dem geliebten Menschen eingesteht, dass man vor Sehnsucht verbrennt, wenn er nicht da ist; dass man sein Gesicht in Träumen sieht, seine Stimme zu hören glaubt, obwohl man ihn weit weg weiß, und gleichwohl die Hände Bewegungen der Liebkosung ausführen, die für den anderen bestimmt sind. Vielleicht ist es gar nicht so gut, wenn man einen Menschen nicht nur verehrt und liebt, sondern auch bewundert und begehrt und überdies derjenige Partnerteil ist, der den anderen mehr liebt und der deswegen auch mehr leiden muss. Ob dies für Frau und Mann gleichermaßen zutrifft? Ich werde sie fragen und ihr alles sagen. Jetzt noch nicht. Später. Für jedes Ding auf der Welt gibt es die richtige Zeit. Es kann die nächste Minute sein, aber auch das kommende Jahr. Als Flieger sage ich es freilich selbst immer: Nutze die Zeit. Und das Wetter, das Licht, den günstigen Augenblick. Ich habe Angst um sie, was sie tut, ist oftmals sehr gefährlich. `Du wirst nicht lange leben´, sagt allerdings sie stets, wenn ich mit Gefahrgut im Frachtraum das Hochgebirge überwinde. `Ich werde so lange leben´, ist meine stereotype Antwort, `bis ich sterbe´. Denn niemand kennt die Stunde seines Todes. Wenn es denn den rechten Zeitpunkt für das Ableben gibt, so wird er hierzulande seit einer geraumen Weile nicht eingehalten. Nicht mehr der Schöpfer beschließt den Lauf des Lebens, sondern sein entwickeltstes Geschöpf. Dragan sah die Schlafende zärtlich an. Wie nahe war sie heute dem Tod? Sie sah so aus, als sei sie dicht daran gewesen.
    Ähnlich bei allen Unterschieden waren sie sich in einem: Es lebte sich schlecht allein, keiner wollte es und konnte es, wenngleich jeder zuweilen vor anderen und vor sich selbst so tat. Darüber hatten

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