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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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sie sich verständigt nach ihrem ersten Kuss. Vor seinem inwendigen Auge sah Dragan sich mit Anica bei einem Ausflug von Beograd in ein Grenzstädtchen zu Bosnien auf einer Savebrücke stehen. Erst starrte sie auf den schnellfließenden Wasserlauf, dann ihm in die Augen. Er starrte zurück. Sein Haar wurde in seine Augen geweht. Er strich es zurück. Ihre Augen standen in Verbindung durch kleine, hin und her flitzende Blitze. Er umfasste mit Daumen und Zeigefinger ihre Taille. Sie legte die Hände auf seine schmalen, kräftigen Hüften.
    „Ich küsse nicht besonders gut“, sagte er. „Nicht so, wie man es heutzutage im Kino sieht.“
    Anica nickte lächelnd. „`Eklig´, haben meine Zwillinge gesagt, `wie die sich abschlecken´.“
    „Küssen ist wie tanzen, was ich auch nicht besonders kann“, sagte er. „Es kommt nicht darauf an, wie es aussieht...“
    „...sondern nur, wie einem dabei ist“, vervollständigte sie.
    Sie leckte sich die Lippen und er leckte sich die Lippen, wobei er seine auf die ihren legte...
    Der Gleichschritt von Soldaten auf der Straße zertrat Stille und Gedanken. Die Artillerie auf den Gebirgshöhen hatte aufgehört zu donnern. Entferntes Motorengebrumm schwang leise in der Luft. Eine Kette Transportflugzeuge kam im letzten Dämmerschatten der Felsabhänge auf dem Aerodrom herein.
Dragan schloss die Augen, gab sich seinen Träumen hin, bis er es an der Zeit fand, wegen der Ausreisegenehmigungen für sie bei den zuständigen Stellen anzurufen. Er war kein Phantast und wusste stets, was er tat, vor allen Dingen bei Träumen, die er mit seinem Bewusstsein steuerte, doch natürlich auch dann, wenn es galt, scheinbar Unmögliches zu realisieren. Er erhielt neben der Erlaubnis, Bosnien in Begleitung zu verlassen, verschiedene Transportaufträge, von denen einige nicht einmal illegal waren. So sollte er der serbischen Seite Handtelefone verschaffen und im Austausch eine Palette Treibstoff als Rückfracht übernehmen.
    Am späten Vormittag wurde Anica durch einen Anruf von Zudeck-Perron, dem Fotografen, geweckt, der sich erkundigte, wie ihr das unfreiwillige Bad bekommen sei. Er verriet mit keinem Wort, durch wen er davon erfahren hatte. Der Bildjournalist verfügte über eigene Informationsquellen und galt in der Branche als der Prototyp des geriebenen, talentvollen Reporters. Doch wenn jemand nach Jahren noch Talent bescheinigt wurde, dachte die Journalistin, konnte es mit seinem Können bei aller Begabung nicht weit her sein. Ein wenig mehr Einsicht in die tieferen Zusammenhänge der Weltpolitik und Lebensphilosophie, als Paul Zudeck-Perron sie besaß, war schon erforderlich, um zu einem kompetenten Interpreten der Zeitgeschichte zu werden, dessen Name Bestand hat.
    Anica hatte nie gern mit dem Fotoreporter zu tun, immer überkam sie ein eigenartiges, ein ungutes Gefühl. Mit ihren inneren Augen sah sie ihn vor sich, nicht besonders gut aussehend, etwas zur Fülle neigend, rötlichblond, durch die Vielzahl und Dichte seiner Sommersprossen immer braungebrannt anmutend, mit markanten Gesichtszügen, die in einer spitzen Nase mündeten, und einem schimmernden Blick, der durchaus charmant wirken konnte; in seinem Lächeln hingegen erkannte Anica nur ein maskenhaftes Grinsen und aus seiner sonoren Stimme hörte sie stets einen zynischen Unterton heraus. Trotzdem brachte sie es bei ihrem deutschen Kollegen nicht fertig, einfach den Hörer aufzulegen. Daher streckte sie nur der Sprechmuschel die Zunge heraus und nahm sich vor, ihm keine Antwort schuldig zu bleiben.
    „Hören Sie, verehrte Kollegin“, sprach er mit viel Neid in der Stimme und wichtigtuerisch, „ich habe in der vergangenen Nacht, derweil Gnädigste zu baden geruhten, das neue Buch von Wenzelslaus über den Balkan gelesen. Meine Agentur hat es mir zur gefälligen Kenntnisnahme zukommen lassen. Klingorchen – der Kerl hat von Ex-Jugoslawien einerseits mehr vergessen, als wir jemals wissen werden, andererseits Sachen hinzugefügt, die schon anderswo auf dem Müll der Geschichte gelandet sind. Doch was er schreibt, kann zweifellos jede Agentur gut verwerten und wird immer jede Zensur gerade noch passieren. Aber wie es mit dem, was man sieht und was die Bilder zeigen, zu vereinbaren ist, steht auf einem ganz anderen Blatt. Holen Sie sich den Schmöker mal bei mir. Wenn Sie ihn durchhaben, wird es Ihnen gehen wie mir.“
    „Wie geht es Ihnen denn?“
    „Vielleicht nicht mit Ihnen vergleichbar nach der unfreiwilligen Bekanntschaft

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