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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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mit dem nasskalten Element. Mein Job sieht allzu häufig so aus: Wenn ich nicht telefoniere, warte ich und warte, dass etwas passiert, und wenn ich dann endlich einen Termin in meinem Notebook stehen habe, lässt man mich wieder warten. Die ständige Warterei bringt mich noch um. Ich würde zu gerne wissen, wie Sie das eigentlich anstellen.“
    „Glück hat letztendlich immer der Tüchtige. Vielleicht, dass auch Sie irgendwann einmal zum Zuge kommen.“
    „Bis vor wenigen Augenblicken stand mein Beschluss freilich fest, den Fotoapparat an den berühmten Nagel zu hängen und mir einen neuen Job zu suchen...“
    „Vielleicht Friseur“, schlug Anica süffisant vor. „Oder auch als Barmixer erfährt man so manches...?“
    „Inzwischen habe ich Zwiesprache mit mir gehalten“, fuhr Zudeck-Perron ungerührt fort, „und mir geschworen, weiterzumachen und dabei allerdings mehr an die Vermarktung zu denken.“
„Bei Texten kann ich mir das vorstellen“, gab Anica zu Bedenken, „aber wie wollen Sie das mit Ihren Fotoaufnahmen anstellen?“
„Sie“, betonte er, „sollten sich nicht so anstellen. Sie wissen doch ganz genau, wie das Häschen hoppelt. Ist das nicht Ihre Station, die damals vor dem Golfkrieg die Bilder von den Brutkästen mit den Babys gezeigt hat, denen Saddam Hussein persönlich den Strom abstellt?“
    „Sie schließen von sich auf andere, Herr Zudeck-Perron. Wir haben auch die von US-Boys gesprengten Wasserwerke gezeigt. Die Aufnahmen von den amerikanischen Panzern, die irakische Soldaten bei lebendigem Leibe in ihren Stellungen mit Wüstensand zuschütten, haben aber Sie zurückgehalten...“
    „Das ist gelogen“, brauste Zudeck-Perron auf. „Meine Agentur hat mir doch erst kürzlich das Teilhonorar für einen Dokumentationsband...“
    „Ja, jetzt! Nach wie vielen Jahren?“
    „Wie dem auch sei. The show must go on. Auf gut deutsch: Die Karawane zieht weiter. Und wenn ich mir erst noch einen Affen ansaufe, wie ich ihn seit meiner letzten Scheidung nicht mehr gehabt habe.“
    „Damit Ihnen immerhin Alkohol hochkommt statt Gallensaft“, entgegnete sie. „Na, denn Prost!“
    „In diesem Sinne“, sagte er. „Und – lassen Sie sich endlich mal bei mir sehen, wenn Sie Zeit haben.“
    „Das werde ich tun“, versprach sie. Aber nur dann, dachte sie. Und es wird am Sankt Nimmerleinstag sein. Ihr Rausch war verflogen, die Mattigkeit der Nacht nicht mehr zu spüren.
Paul Zudeck-Perron war nicht der schlechteste der Medienvertreter, die pausenlos Bilder des Krieges in die Welt lieferten von Menschen, die über Afghanistan bis hin auf die Philippinen davon entzündet waren, für Bosnien zu kämpfen und zu sterben. Gleich für welche Seite, Bosnien war zum Schlachtruf geworden, in jedem Staat, in jedem Land für eine eigene Schlacht. Die Zuschauer vor den TV-Bildschirmen wurden nach allen Regeln der High-Tech-Kunst belogen und manipuliert, und sie wussten es. Täglich wurde ihnen mit den Bildern der Verletzten, der Abgestürzten, der Toten und der Trauernden bei lebendigem Leib und vollem Bewusstsein die Seelenhaut abgezogen, der langsam und unversehens rindenartige Narbenhaut nachwuchs. Auch die Zuseher zogen sich Verätzungen zu, und während sie sich entsetzt die Wunden leckten, wurden sie auf den Abweg verführt, für diesen oder ähnliche Konflikte nur eine einzige Lösung als gegeben anzusehen, nämlich die von Kampfflugzeugen erzwungene.
    Dragan legte für Anica den Hörer auf. „Du siehst aus“, log er, „heiter und gelöst wie ein Kind, das einem großen, lang herbeigesehnten Erlebnis entgegenfiebert.“ Er hatte seit einer Weile – von ihr unbemerkt – dem Ferngespräch nicht ohne eifersüchtige Gefühle gelauscht.
    „Ich bin ernüchtert, ja“, entgegnete sie. „Aber unendlich froh, dich unter allen Umständen jetzt erst mal bei mir zu haben.“ Unter allen Umständen, wiederholte sie in Gedanken. Und die Umstände sind einfach die, dass du zu mir gekommen bist und ich dich nicht mehr von mir lassen will. Als sie ihm wieder in die Augen blickte, war ihr, als hätte sie laut gedacht. „Hör mal“, stieß sie mit veränderter, melancholischer Stimme hervor, „ein wenig Luftveränderung könnte mir wirklich gut tun.“
    „Na, dann los...“
    „Langsam“, mahnte Anica, „ich muss noch eine Fotoserie für meine Agentur vorbereiten. Hier hab ich sie schon. Ein Familienvater, dessen Angehörige buchstäblich in Stücke geschossen werden, von Granatensplittern derart zerfetzt,

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