African Boogie
anerkennend gesagt.
»Er hat Sie geküsst«, sagte eine leise Stimme. Katharina schreckte auf. Erst hatte sie befürchtet, sie wäre eingeschlafen. Doch sie saß immer noch auf der Bettkante. Und Norrisch schaute sie an. Er schaute sie tatsächlich an. Er war bei Bewusstsein.
»Er hat Sie geküsst«, wiederholte Norrisch verschmitzt.
Katharina wollte ihm am liebsten um den Hals fallen. Doch stattdessen sagte sie streng: »Doktor Amendt vollbringt hier Weltklasse-Medizin. Und Sie kriegen nur den Kuss mit.«
Norrisch wollte noch antworten, doch es kam nur ein Krächzen. Was hatte Sandra Herbst ihr erklärt? Wasser in kleinen Schlucken. Sie nahm das Glas, das zu diesem Zweck auf dem Nachttisch stand, und schob Norrisch den Strohhalm in den Mund. Er saugte vorsichtig. Nach ein paar Schlucken hatte er genug. Katharina stellte das Glas zurück.
»Warum haben Sie sich getrennt?«, fragte Norrisch neugierig.
»Ach das ist eine lange Geschichte.«
»Ich hab’ Zeit, oder?«
»Und sie ist nicht sehr schön.«
»Nein? Das werden wir ja sehen. Erzählen Sie.«
Katharina gehorchte und erzählte. Alles. Von ihren Eltern. Von Susanne. Vom Mord. Davon, wie sie Andreas Amendt kennengelernt hatte. Wie sie zusammen zwei Morde aufklären mussten. Wie sie ihn geküsst hatte. Und wie sie sich durch einen dummen Zufall auf Golden Rock wiederbegegnet waren. Sie erzählte von Amendts Reaktion auf die Akte. Von seiner Theorie der multiplen Persönlichkeit.
Als sie geendet hatte, drückte Norrisch ihre Hand fester: »Richten Sie Doktor Amendt etwas von mir aus? Sagen Sie ihm: Er hört Hufgetrappel und denkt an Zebras.«
»Was meinen Sie damit?«
»Er wird es wissen. Und Sie würden mir nicht glauben.«
Zufrieden lehnte sich Norrisch zurück auf sein Kissen und fragte: »Lesen Sie mir etwas vor?«
»Gerne. Was?«
»Dort. In meiner Aktentasche.«
Katharina schaute hinein. Zwei Bücher. Das erste hieß »Kombinante Zytostatika in der ambulanten Krebstherapie«. Das zweite war »Die geheimnisvolle Insel« von Jules Verne. Katharina nahm den zerlesenen Band hervor und schlug ihn auf.
Die Geschichte hatte sie selbst ganz gefangen genommen, sodass sie fast erschrak, als Norrisch sie unterbrach: »Hören Sie das?«
Sie sah auf. Vor dem Fenster war es hell. Es war wieder Tag geworden. Und das Rauschen hatte aufgehört.
»Es regnet nicht mehr.«
»Das meinte ich nicht. – Hören Sie!«
Tatsächlich! Knatterndes Dröhnen, das immer lauter wurde. Der Hubschrauber! Sie hatten es geschafft!
Kurze Zeit später betrat Andreas Amendt zusammen mit zwei Sanitätern der Bundeswehr Norrischs Bungalow. Gemeinsam machten sie den Patienten transportfertig. Währenddessen tauschten sie medizinisches Kauderwelsch aus. Als Andreas Amendt Norrischs Oberkörper anhob, stockte er kurz. Das Pyjama-Oberteil war verrutscht, und Amendt betrachtete eine Stelle auf Norrisch Rücken intensiv.
»Was ist?«, fragte Katharina.
»Später«, raunte er ihr zu. Das klang nicht gut.
Der Tragekorb hing bereits am Seil, bereit zum Hochziehen, als Norrisch Andreas Amendt und Katharina noch einmal zu sich winkte.
»Danke.« Er drückte ihre Hände. Dann drehte er mühsam den Kopf zu Katharina. »Das war ein schönes Abenteuer. Eine geheimnisvolle Insel. Zwei Liebende, die nicht zueinanderfinden können. Und jetzt sogar ein Happy End. Ach, denken Sie dran auszurichten, was ich Ihnen gesagt habe.« Dann ließ er ihre Hand los und gab den Sanitätern ein Zeichen. Der Korb schwebte in die Höhe. Kurze Zeit später nahm der Hubschrauber Kurs auf das Meer.
Andreas Amendt und Katharina blieben alleine auf der überschwemmten Wiese zurück und sahen ihm nach.
»Was sollen Sie wem ausrichten?«
»Ihnen. Eine Botschaft von Norrisch. Ich … ich habe ihm heute Nacht unsere Geschichte erzählt.«
»Warum das denn?«, fragte Andreas Amendt wenig begeistert.
»Er hat mich darum gebeten. Und als ich ihm erklärt habe, was Sie denken – multiple Persönlichkeit – hat er gesagt, Sie sollen bei Hufgetrappel nicht an Zebras denken. – Wissen Sie, was er damit meint?«
Andreas Amendt bejahte: »Das ist so ein Bild aus der Arztausbildung: Junge Ärzte denken immer an die exotischsten Diagnosen zuerst. Damit meint er wohl die Idee mit der multiplen Persönlichkeit. Das ist seiner Meinung nach das Zebra.« Dann sagte er ohne Übergang: »Norrischs Leberversagen war ein Mordversuch.«
Katharina stockte: »Ernsthaft? Wie kommen Sie darauf?«
»Sie wissen noch, wie ich eben
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