African Queen
sie kriegt, werden sie zurücktransportiert. Offiziell. Inoffiziell werden auch viele auf der Flucht erschossen, weil das weniger umständlich ist. «God bless you, Sir», wie er das gesagt hat. Mir hat es die Haare aufgestellt. Ein Segenswunsch, der so tief, ehrlich, dankbar und gläubig vorgetragen wird, ist eigentlich mehr als dreißig Dollar wert. Damit hat Collin ein gutes Stück Seelengold in der Tasche. Liebe und Respekt sind besser als Furcht und Respekt.
Ein paar Anmerkungen zur Straße. Sie ist natürlich keine Straße, sondern eine Buschpiste, und auf den ersten Kilometern hinter Cobue geht es in Lehmserpentinen voller Schlaglöcher und Querrillen recht steil bergauf. Das ist der wilde Teil der Strecke nach Lichinga, mit rechts und links jede Menge wildem Wald. Inzwischen wird es bequemer, und wir fahren auch länger geradeaus. Hin und wieder vorbei an Feldern, aber prinzipiell bleibt die Piste gesäumt von Wald. Einem traurigen Wald, trocken und über große Flächen verbrannt. Er lechzt nach der Regenzeit.
«Darf ich dich was fragen, Collin?»
«Sicher.»
Ich frage ihn nach seiner Vergangenheit. Seine Familientasse kenne ich schon. Er trinkt jeden Morgen aus einem Gruppenfoto Tee. Bärtiger Vater, gütige Mutter, drei Brüder, zwei Schwestern. Aufgenommen bei schottischem Wetter. Ein Hochland-Clan. Aber welcher Bruder ist er? «Der mittlere.» Und hat ihm sein älterer Bruder Probleme gemacht? «Jede Menge. Aber als ich so stark wurde wie er, besserte er sich.» Dann ging Collin fort. Erst nach Edinburgh, dort studierte er Politik und Geschichte. Anschließend nach Berlin. Nur so, erst für ein paar Wochen, ein Pflichtbesuch, weil Deutschlands Hauptstadt für junge Schotten noch hipper als London ist. Berlin griff nach ihm, und er blieb zwei Jahre. Die ersten zwei Wochen kiffte er von morgens bis abends, dann wurde er Koch in einem vegetarischen Imbiss und kiffte nicht mehr so viel, und eines schönen Tages erzählte ihm ein Gast von Mosambik. Neues Ziel, neues Glück. Mit dem Orient-Express nach Istanbul, mit dem Flieger nach Kairo, über Land auf der Trans-Afrika in Bussen und Buschtaxis, durch Kenia und Tansania ging er monatelang zu Fuß. Auch Cobue erreichte er zu Fuß, dort hörte er von der Lodge, ging hin und fragte nach Arbeit. Peter gab ihm welche, und sie wurden Freunde, und als Peter von der Ägypterin abgegriffen wurde, übernahm Collin den Laden. Mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen. Oder doch? Es gab eine Liebesgeschichte in Kenia, bevor er in die Lodge kam. Nach ein paar Wochen wollte er zu ihr zurück. Er saß schon im Bus. Und es fühlte sich nicht gut an. Er nahm seinen Rucksack und stieg wieder aus. Das war Collins Entscheidung gegen die Liebe. Und? Hat es sich gelohnt?
«Ich weiß es nicht. Ich will es auch gar nicht wissen. Ich kümmere mich nicht darum. Das ist der große Unterschied zwischen meinem Leben zu Hause und hier. Zu Hause habe ich zu viel über mich selbst nachgedacht, viel zu viel, und in Berlin wurde das zur Manie. Hier geht das nicht mehr. Ich kümmere mich nur noch um die Lodge. Für mich selbst bleibt keine Zeit.»
«Und magst du es, keine Zeit mehr für dich zu haben?»
«Um ehrlich zu sein, Helge, es ist befreiend.»
Collin sagt «to be honest», wenn er ehrlich meint. Und was mich angeht: mir geht’s, «to be honest», in der Lodge genau umgekehrt.
Wir erreichen Lichinga am Nachmittag. Eine große Straße, in der alles Wichtige und Hässliche ist, die Nebenstraßen etwas hübscher. Die alten Häuser der Portugiesen sind keine Villen, sondern eher klein und bescheiden, kolonialer Mittelstand hat hier gebaut, Kaufleute, Beamte, niedrige Offiziersränge, zudem sind sie inzwischen komplett versaut, trotzdem streichelt die koloniale Restarchitektur der Ibero-Imperialisten meine Träume wie der Anblick einer schönen Frau. Ansonsten, da hat der «Lonely Planet» recht, gibt es wenig zu sehen oder, besser, wenig Sehenswertes. Die Hauptstadt der Provinz Niassa ist ein Hunderttausendseelenkaff, in dem es alles gibt, was Jäger, Missionare und Lodgemanager brauchen. Collin arbeitet seine Einkaufsliste ab, ich meine. Seine ist etwa tausendmal länger. Er braucht Drähte, Netze, Seile, Batterien und alle möglichen Ersatzteile, er braucht etwa eine Tonne Lebensmittel, einen Zentner Alkohol und jede Menge Papier. Die Behördengänge nerven ihn am meisten. Im «Tourism Development»-Büro, das unter anderem den Qualitätsstandard der Hotels in Mosambik überwacht,
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