African Queen
bedingter Sumpf und ist mit dichtem Schilf bewachsen, man sieht nicht, was drin ist, man weiß es nur, und das bringt mich zu dem Krokodil zurück. Hier wohnt es, hier ruht es, hier sonnt es sich, und wenn es schwimmen will, kommt es genau hier raus und kriecht über den Reststreifen Strand zum See. Der Reststreifen ist etwa zwei Meter breit. Das heißt, vielleicht kriegt es mich, wenn es mich kriegen will, vielleicht auch nicht. Und dieses «vielleicht» ist ein bisschen gruselig. Selbst am Tag, wenn ein Krokodil angeblich nicht jagt. Doch manchmal komme ich auch abends von Peters Terrasse zurück, und wenn der Mond sein silbernes Licht über das Schilf, den Sand und das Wasser legt, beruhigt mich zwar, dass Krokodile nur einmal in der Woche Nahrung zu sich nehmen, aber ich weiß auch, dass sie gern Vorräte anlegen. Also, was zur Hölle kann ich machen, wenn diese Bestie, die seit Lodgebestehen noch nie Menschenfleisch probiert hat, es mit mir zum ersten Mal versucht? Die Tipps der Krokodiljäger sind relativ leicht zu verstehen und relativ schwer zu befolgen:
1. Lass dich auf keinen Fall beißen. Der Biss des Krokodils ist so tief und schmerzhaft, dass man sofort in ein Schocktrauma fällt und wehrlos ins Wasser gezogen wird. Zum Ertränken. Zum Zerreißen. In der Regel geschieht das gleichzeitig. Weil das Krokodil aus kiefertechnischen Gründen nicht sauber abbeißen kann, dreht es sich so lange im Wasser um seine eigene Achse, bis das Opfer an den angebissenen Stellen auseinanderreißt.
2. Die empfindlichsten Stellen des Krokodils sind seine Augen und seine Nase. Bearbeite diese Körperteile mit irgendetwas Geeignetem. Einem Stück Holz, einem Stein, einem Schlüssel, einem Handy oder der blanken Faust. Krokodile mögen keine Beute, die weh tut, und vielleicht haut es ab.
3. Versuche, irgendwie auf den Rücken des Krokodils zu gelangen. Übe mit deinem Körpergewicht Druck auf seinen Nacken aus. Das zwingt es, den Kopf zu senken und die Schnauze zu schließen. Normalerweise ist das seine Ruheposition. Und wenn du es jetzt noch schaffst, dem Krokodil für längere Zeit die Augen zuzuhalten, schläft es ein. Ich summe:
«Schlaf, Schnappi, schlaf,
dein Vater reißt ein Schaf,
deine Mutter schüttelt ein Menschenbein,
und runter fällt ein Füßelein,
schlaf, Schnappi, schlaf.»
5. AFRICAN SHOPPING
D as Gleichgewicht des Schreckens muss stimmen. Wenn beide gleich viel Angst haben, den anderen zu verlieren, spricht man von einer stabilen Beziehung. Hat einer mehr Angst, beginnt er zu verlieren. Nicht nur, weil er nervt, er gibt auch dem Partner zu viel Freiheit damit. Wer die Angst des anderen spürt, hat selbst keine mehr. Und beginnt rumzuspinnen. Seine Waagschale geht nach oben, die des anderen sinkt. Irgendwann liegt der eine am Boden, und der andere fliegt zu einem anderen Happy End. Wir kennen das. Es wird normal, kein nachhaltiges Happy End mehr zu haben, sondern viele kleine Happy Ends verstreut übers Leben. Aber die Romantik ist nicht totzukriegen. Vielleicht schaffen wir es ja irgendwann einmal, vielleicht braucht es nur noch ein paar Generationen von Beziehungsunfähigen, um den Menschen daran zu gewöhnen, dass Liebende kommen und gehen und nur die Liebe selbst Unendlichkeit erreicht, wie ein alter indischer Kumpel mal so hübsch formuliert hat, und es leuchtet mir ein, aber ich bin noch nicht so weit. Mir reißt es noch immer die Eingeweide heraus, wenn ich meine Braut verliere. So weit ist es noch nicht, aber ich kenne die Dynamik. Angst ist ein Gewicht, das ständig schwerer wird. Was mich ständig schwächer werden lässt. Ich halte mich ganz gut, mir knicken nicht die Knie weg, doch mein Gesicht spricht Bände. Immer wenn wir am großen Tisch in Collins Büro zusammensitzen, schauen mich die anderen wie jemanden an, dem man helfen muss. Weil er so traurig ist. Und dabei spielt es keine Rolle, ob ich lächle oder nicht. Meine Augen verraten mich. Es wird Zeit für die Sonnenbrille, und dann verrät mich meine Stimme. Sie wird immer schwächer und leiser, und wenn ich dagegen angehe und absichtlich laut rede, ist es nur eine leere, leicht hysterisch vibrierende Tonhülle. Das kostet Kraft und bringt nichts, deshalb spare ich mir den Aufwand. Und verliere meine Stimme. Am peinlichsten ist es, wenn ich singe. Es hat sich am Feuer eingebürgert, dass Collin und ich abwechselnd Gitarre spielen. Die Flammen, das Bier und der Sternenhimmel verlangen ein bisschen Bob Dylan, ein bisschen Eric Burdon
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