African Queen
der Vulkansteinfelsen passiert haben, sehe ich sie nicht mehr. Es windet sehr, die Gischt wirkt wie ein zweiter Frühstückskaffee, nass und wach erreichen wir Cobue, wo der Geländewagen der Lodge steht.
Lichinga ist für diesen Wagen eigentlich nur fünf Stunden entfernt, aber wir werden länger brauchen, weil Collin so viele Leute am Wegesrand kennt. Der Erste, für den er anhält und aussteigt, ist der Polizeichef von Cobue, ein untersetzter, grimmiger Mann, vor dem man sich gegebenenfalls auch fürchten kann, weil er absolut keinen Spaß versteht. Er redet mit Collin, den er Amigo nennt, und blickt mich dabei immer mal wieder finster an. Er will etwas. Collin dreht sich zum Wagen um, wahrscheinlich will er sein Gesicht nicht verlieren. Er ist ein bisschen wütend und beißt sich auf die Lippe. Dann wendet er sich wieder dem Polizeichef zu und schüttelt den Kopf. «Porque amigo?», fragt der Bulle. «Porque não!», antwortet Collin und lässt ihn stehen.
«Was wollte er?», frage ich, als er wieder im Wagen sitzt.
«Geld. Er will immer Geld.»
«Und du gibst es ihm nicht?»
«Never ever, aber er fragt jedes fucking Mal.»
Hintergrund dieser Unverschämtheit sind die skandalös niedrigen Einkommen der Polizei in Mosambik. Sie verdienen nicht mehr als die Kellner in der Lodge. Aber sie brauchen mehr zum Leben als die Glückseligen im Busch. Mehr Fernsehen, Radio, Whisky, Huren und Motorräder. Sie sind zivilisiert. Und sie haben Waffen und ziemlich viele Rechte. Sie können mit den Leuten hier alles machen. Auch mit mir. Er könnte meinen Pass checken und in meine Tasche sehen, in ihr würde er einen Laptop finden, und dann könnte er mich nach der Einfuhrgenehmigung fragen, und ich würde sagen, ich hab sie nicht, weil mich in der Zollbude Ihres fabelhaften Nestes vor zehn Tagen niemand darauf hingewiesen hat, dass Laptops bei der Einreise angemeldet werden müssen, und der Bulle würde sagen: Bingo, jetzt nehme ich dir den Apple weg. Oder ich steck dich drei Tage und Nächte in unser Buschgefängnis. Zollvergehen sind kein Kavaliersdelikt. Die dritte Möglichkeit wären tausend Dollar in cash. All das könnte er ohne Probleme durchziehen, aber er macht es nicht, entweder weil er dumm ist oder weil er Collin fürchtet oder, auch das kann sein, weil er Collin respektiert. Man weiß es nicht. In Afrika verschwimmt die Grenze zwischen Furcht und Respekt leider leicht, aber ein Mann, der immer nein sagt und nicht weich wird, hat beides redlich verdient.
Etwa eine Stunde später sehe ich, wie es umgekehrt funktioniert. Mehrere abgerissene Gestalten begegnen uns auf der Lehmpiste. Sieben oder acht ausgemergelte, zum Gotterbarmen dünne Männer, mit Fetzen am Leib. Ein paar von ihnen tragen die Überreste von Sandalen, ein paar sind barfuß unterwegs. Und ihre Gesichter gehören nicht hierher. Wir fahren an ihnen vorbei, Collin stoppt und setzt zurück. Drei der Männer flüchten in den Wald, die anderen bleiben ängstlich stehen. «English?», fragt Collin. Und noch einmal: «English?» Einer der Männer kommt ans Fenster. Hinter der Angst und der Erschöpfung versteckt sich ein wundervolles Gesicht.
«Woher kommt ihr?», fragt Collin.
«Aus Äthiopien.»
«Und wohin wollt ihr?»
«Nach Südafrika.»
Ich kann nicht glauben, was ich da höre. Äthiopien ist zweitausend und Südafrika eintausendfünfhundert Kilometer entfernt.
«Ihr müsst aufpassen. Gestern wurden zwanzig Äthiopier von der Polizei verhaftet. Ganz in der Nähe. Ich habe es über Funk gehört. Verstehst du mich? Polizei!»
«Ja, ich verstehe. Danke, Sir.»
«Verstehst du mich wirklich? Die Polizei sucht euch. Bleibt weg von den Dörfern.»
«Danke, Sir.»
Die Männer, die im Wald verschwunden waren, kehren zurück. Die Gruppe hat Vertrauen gefasst. Der Weiße ist nicht böse. Collin fummelt im Handschuhfach herum, seine Hand kommt mit Geld wieder heraus. Dreißig Dollar. Das ist fast die Hälfte eines Monatsgehalts seiner Angestellten. «Hier», sagt er und gibt es dem Mann, der Englisch kann. «Und denkt daran: Geht nicht in die Dörfer!»
Der Äthiopier hält die Scheine für ein Weilchen fassungslos in der Hand. Er sucht nach Worten. Er findet sie. «God bless you, Sir.»
Während sie uns hinterherwinken, erklärt mir Collin, was dahintersteckt. Es ist eine neue Völkerwanderung. Äthiopier und Somalier. Sie wollen zu Fuß nach Südafrika, sie gehen auf den alten Sklavenwegen durch Kenia, Tansania und Mosambik, und wenn die Polizei
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