African Queen
in der Lodge-Uniform (kurze blaue Hose, beiges Poloshirt mit blauem Bund) hinter der Bar und warten auf einen Zuruf. Für sie ist das normal. Das war bei ihren Vätern so, bei ihren Großvätern und Urgroßvätern ebenso. Schwarze bedienen Weiße, und obwohl die Lodge von ehemaligen UNESCO-Mitarbeitern zum Benefit der Afrikaner aufgebaut worden ist, wirkt das scheißkolonial. Massentourismus ist der moderne Kolonialismus, Individualtouristen sind die Pioniere, Reisejournalisten die Entdecker. Die Geschichte wiederholt sich wieder und wieder. Weil ich a) ein Achtundsechziger bin und b) ein Deutscher, habe ich Berührungsängste mit allem Militärischen, und deutsches Soldatentum geht gar nicht. Ich verehre den Engländer T. E. Lawrence, bekannt als Lawrence von Arabien, als Genie und Held, aber den deutschen General Lettow-Vorbeck, der in England als deutscher Lawrence von Arabien gefeiert wird, kenne ich nicht einmal, auch nicht Hermann von Wissmann, obwohl er als erster Europäer Afrika von West nach Ost durchquert hat. Ich kenne nur Livingstone, wieder ein Brite, und Indiana Jones (USA), aber deutsche Kolonialgrößen sind mir unbekannt, und das erstaunt den englischen Zahnarzt, der seit drei Tagen mit uns am Feuer sitzt, sehr. Er kommt jedes Jahr in die Lodge, und er ist ein Malawisee-Experte.
«Wussten Sie, dass auf diesem See die erste Seeschlacht des Ersten Weltkriegs stattfand?», fragt er mich. «Nein? Und Sie haben auch noch nie von der ‹Hermann von Wissmann› gehört?»
«Was ist das?»
«Ein Schiff. Aber den Namensgeber kennen Sie doch sicherlich?»
«Äh …»
«Dann ist Ihnen wahrscheinlich der Kapitän Prager auch kein Begriff.»
«In der Tat, das ist er nicht.»
Was folgt, ist ein Geschichtsunterricht aus Zahnarztmund bis tief in die Nacht, und je länger ich dem englischen Dentisten zuhöre, desto bewusster wird mir, dass die Abenteuerlust eine Leidenschaft ist, der alle Wege recht sind, um sich auszuleben. Manche von denen, die wir heute als Kolonialisten beschimpfen, waren einfach nur Leute, die genauso gern unterwegs waren wie wir und mangels anderer Möglichkeiten im Reisebüro Militär buchten. Und hin und wieder wollten sie sogar Gutes tun. Der deutsche Afrikaforscher, Offizier und Kolonialbeamte Hermann von Wissmann kam, ähnlich wie Livingstone, auch mit dem Vorhaben, den Sklavenhandel in Afrika zu bekämpfen. In weiten Teilen der Welt war der Ende des 19. Jahrhunderts längst verboten, aber die Araber scherten sich nicht darum. Wissmanns Idee: Wir brauchen einen Dampfer auf einem afrikanischen See, um das zu unterbinden. Er sammelte im Namen des «Anti-Sklaverei-Komitees» dreihunderttausend Reichsmark an Spenden ein. Die Hamburger Werft «Jannsen und Schmilinsky» baute das Schiff, das Wissmanns Namen tragen sollte, was für die Hanseaten keine große Herausforderung war. Die begann erst mit der Frage, wie man einen sechsundzwanzig Meter langen, sechs Meter breiten und achtzig Tonnen schweren Dampfer zu einem afrikanischen Binnengewässer transportiert. Da ist ziemlich viel Busch im Weg, und am Stück geht das nicht. Deshalb plante man, den Dampfer in Einzelteilen auf die Reise zu schicken, und diese Teile sollten, wenn möglich, nicht schwerer sein als sechzig Pfund, denn mehr vermag ein afrikanischer Träger nicht zu schleppen. Für die Maschinen und Schiffsteile, die man nicht zerkleinern konnte, wie Zylinder, Hintersteuer, Sternwelle, Kiel und Kesselplatten, bauten sie eine Feldbahn. Die funktioniert im Prinzip wie eine Märklin-Eisenbahn. Man steckt Schienenteile so zusammen, wie man es gerade braucht. Bei der Feldbahn hatten die einzelnen Schienen eine Länge von eineinhalb Metern, insgesamt brachte sie es auf vierhundert Meter. Auf diesen Schienen wurden eigens für diesen Zweck konstruierte Wagen mit tiefliegenden Achsen gezogen. Sobald der letzte Wagen das hinterste Stück des Schienenstrangs wieder freigab, konnte es nach vorne getragen und dort wieder zugesteckt werden.
Am 13. April 1891 war das Schiff fertig und wurde in Einzelteilen auf den Dampfer «Emir» verladen, der am 4. Mai desselben Jahres aus dem Hamburger Hafen auslief. Die erste Etappe war die einfachste. Nach zwei ruhigen Wochen auf dem Meer erreichte man die Küste von Deutsch-Ostafrika (heute Tansania, Burundi, Ruanda sowie ein kleiner Teil Mosambiks), und das afrikanische Abenteuer begann. Sie brauchten zweitausend Träger für die kleinen Teile und noch mal 532 starke Männer für die Feldbahn,
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