Afrika im Doppelpack: Vater und Sohn mit dem Rucksack durch Schwarzafrika
Fladenbrote mit nichts schmeckten köstlich, sogar Ali gönnte sich eine Handvoll – natürlich auf unsere Rechnung, wie auch seine Cola und die beiden Zigaretten von dem sechsjährigen fliegenden Händler, der ab und zu vorbeischaute und Ali fragte, ob er nicht noch mehr rauchen wollte. Der Kleine war zu bemitleiden. Sicher hatte er noch nicht genügend Münzen in seiner Plastiktüte, die er anstelle eines Geldbeutels mit sich herumtrug, um nach Hause gehen und mit den anderen Kindern spielen zu dürfen.
Dann endlich kam die Julia. Unsere sehnlichst herbeigesehnte Verbindung zur Mafia. Nach drei Tellern mit fettigen Fladenbroten, sechs lauwarmen Flaschen Coca-Cola – und zu wenig Zigaretten für Ali und den kleinen, wuseligen Geschäftsmann mit seinem viel zu großen Bauchladen aus Pappe. Andere Touristen entdeckten wir auch. Besser gesagt, eine andere Touristin. Ivy, wie wir bald erfahren sollten.
Bild 15: Michael an Bord der Julia
Zuerst einmal hieß es aber, auf die Julia zu gelangen. Und das war gar nicht so einfach. Zum Glück warteten genügend helfende Hände auf uns und die anderen Passagiere. Denn nur die wenigen Geizhälse unter ihnen schleppten ihre Koffer und Taschen eigenhändig durch das hüfthohe, braune Wasser auf den vor Anker liegenden, hölzernen Trawler. Vielleicht waren es auch nur die stärksten unter ihnen. Die restlichen Passagiere, augenscheinlich seeunerfahrenes Landvolk in zerknitterten Anzügen und breitarschige, in mehrere Schichten Stoff gewickelte Matronen, nahmen hingegen die Hilfe eines der zahlreichen jungen Athleten in Anspruch, die lauthals ihre Dienste anpriesen. Dafür durften sie von Land aus zusehen, wie ihre überdimensionalen Bündel von stählernen Oberarmen und für nicht mehr als ein paar lumpige Schillinge sicher an Bord gewuchtet wurden. Auch unsere beiden Rucksäcke wanderten an einem schweißüberströmten, nackten Oberkörper klebend ohne Zwischenfall in Julias Bauch, bevor wir, zwar nicht überfüllt wie ein Flüchtlingsboot vor Lampedusa, aber dennoch ohne einen einzigen freien Platz zu verschenken, endlich losfuhren.
Ivy hatte schnell zu uns aufgeschlossen. Zum Glück. Denn ihr Humor und die lässige Art, wie sie damit ihre Reisestorys aus aller Welt würzte, hatten wirklich etwas Beglückendes. Wir saßen noch keine fünf Minuten auf den Säcken voll mit Kokosnüssen und irgendwelchem anderen kantigen Zeugs zusammen, da kicherten wir schon miteinander, als wären Ivy und ich Mann und Frau und Michael unser Kind. Aber Ivy war nicht nur Scherzkeks. Sie hatte es faustdick hinter den Ohren. Und das brauchte sie auf ihren Reisen rund um die Welt auch. Allein als Frau. Als 34jährige, strohblonde Frau mit einem Körper wie Venus. Allerdings einer züchtig verhüllten und den Einheimischen gegenüber ziemlich resolut auftretenden Venus.
Die Angst, inmitten von Nirgendwo zu stranden, trug sie auch nicht unbedingt vor sich her. Bei Michael war ich mir da nicht ganz so sicher. Er war es, der mich, als unsere Julia ihre Fahrt verlangsamte und den blau-weiß gestrichenen Bug mit einem sanften Schwenk in Richtung Ufer drehte, am Ärmel zupfte und zögerlich meinte: „Papa, ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass an Land keine elektrischen Lichter brennen?“ Michael hatte recht. Vor lauter Abenteuergeschichten-Erzählerei hatte ich so ziemlich alles um mich herum vergessen. Es war inzwischen stockdunkel geworden. Außer den hüpfenden Flämmchen der Öllampen, die an den Balken einer Handvoll morscher Marktstände schaukelten und deren warmes Licht kaum über die Auslagen hinaus reichte, konnten wir in der ganzen Bucht nicht eine einzige Lichtquelle ausmachen. War das hier immer so? Oder erlebte Kilinschooni, wie der Hafen von den Leuten, die mit uns im Boot saßen, liebevoll genannt wurde, einfach einen Stromausfall?
Gut 50 Meter vor der Uferlinie und den Resten einer bröckelnden Steinmauer, die zu besseren Zeiten wohl einmal der Kai gewesen war oder vielleicht auch nur hätte sein sollen, ging die Julia vor Anker. An Bord herrschte Aufbruchsstimmung. Säcke, Kisten, Babys wurden zusammengerafft, fremde Wörter aufgeregt über unsere eingezogenen Köpfe hin und her gerufen. Das Odeur der langen Reise ausdünstende Leiber drängelten und quetschten sich aneinander, um hinzugelangen, wo sie unbedingt hin mussten – Hektik war alles, was zu diesem Zeitpunkt von der Ruhe an Bord noch übrig war. Eine Hektik, die erst so richtig hektisch wurde, sobald die
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