Afrika, Meine Passion
leisten sie Sozialarbeit und werben bei anderen Jugendlichen, die nach wie vor betteln, stehlen und Drogen einnehmen, für das Projekt. »Immer mal wieder kann einer dazugewonnen werden«, erzählt Antony gelassen. »Vor einem Jahr waren wir 12, jetzt sind wir 17.« Er denkt kurz nach und meint abschließend: »Ohne Solidarités und ohne diese Gemüsesäcke wäre ich schon tot.« Dabei schaut er mich ernst an und steht auf, um weiterzuarbeiten.
Ich bin tief beeindruckt, dass Jugendliche, die vor einem Jahr noch drogenabhängig und Diebe und Verbrecher waren, durch »Plastiksäcke« auf den richtigen Weg gebracht werden konnten. Mittlerweile bewirtschaften etwa 7.000 Haushalte solche Säcke.
Ich bedanke mich herzlich bei Antony und wir setzen unseren Rundgang fort, um weitere Menschen zu besuchen. Wir laufen durch die schmalen Pfade des Slums. Man muss ständig aufpassen, sich nicht an den rostigen Wellblechhütten zu verletzen. Ab und an überspringen wir völlig zugemüllte Abflussrinnen mit stinkendem Abwasser. Überall tummeln sich Menschen jeden Alters. Einige verkaufen zwischen Pappkartons und Holzbrettern irgendetwas, andere eilen mit Säcken beladen durch die Gassen. Das meiste davon wird auf dem Kopf transportiert. Fast alle, denen wir begegnen, mustern uns eindringlich und misstrauisch. Doch sobald man grüßt, kommt ein freundliches Lächeln zurück.
Anne, die stille Kämpferin
Wir sind auf dem Weg zu Anne. Sie bepflanzt ebenfalls Gemüsesäcke und lebt in einem anderen Teil des Slums. Wie man mir mitteilt, gibt es selbst im Slum bessere und schlechtere Gegenden. Jetzt geht es in eine schlechtere namens Soweto. Erst steigen wir eine Bahnböschung hinauf, um, wie viele der Einwohner, auf den Gleisen schneller voranzukommen. Hier oben hat man eine gute Übersicht über den gesamten Kibera-Slum, hinter dem sich die modernen Hochhäuser der City erheben. Die Bahnlinie ist auch bei den Händlern begehrt. Viele stellen ihre Waren entlang der Gleise auf. Die einen verkaufen Schuhe, andere auf einem kleinen Holzstand Süßigkeiten oder Gemüse. Dazwischen liegen Berge von Müll. Häufig sitzen kleine Gruppen auf den Schienen und unterhalten sich. Weil der Bahndamm etwas erhöht liegt, ist die Luft besser als in den engen, stickigen Gassen. Mehrere Male am Tag fährt mitten durch den Slum ein Zug.
Minutenlang laufen wir zwischen den Schienen. Plötzlich entdecke ich links unter uns einige Säcke mit grünem Kohl. Sie leuchten uns förmlich entgegen. Nun müssen wir einen kleinen, sehr steilen Pfad hinabsteigen, der bei Regen wohl nicht passierbar wäre, da er sich in rutschigen Schlamm verwandeln würde. Wir begrüßen eine stämmige Frau, die gerade das Gemüse wässert. Ich schätze Anne auf etwa sechzig Jahre, doch stellt sich heraus, dass sie gerade mal mein Alter hat. Sie trägt ein sauberes, einfaches, graublaues Kleid und ein Tuch auf dem Kopf, unter dem graue gekräuselte Haare hervorlugen. Anne bewirtschaftet 13 Säcke, die in der Nähe ihrer Hütte stehen. Sie kann sie am Rand der Bahnlinie aufstellen und man sieht deutlich, dass hier schon eine Menge Erde abgetragen wurde. Deshalb ist auch der Pfad so steil geworden. Nachdem sie uns stolz ihre 13 Säcke gezeigt hat, bittet sie uns in ihr Haus. Während wir der barfüßigen Anne folgen, ertönt über uns plötzlich ein lautes Pfeifen und Rattern, und schon keucht ein schwarzer Güterzug über die Schienen. Vor einer Hütte bleibt Anne stehen, schließt das Tor auf und wir treten in einen kleinen fensterlosen Raum. Macht man die Tür zu, ist es dunkel, obwohl draußen die Sonne scheint. Es ist aufgeräumt, doch türmen sich überall Gegenstände. Ich setze mich auf eine schmale Bank, vor der ein kleiner Tisch steht. Anne lässt sich auf einen Schemel nieder. Hinter ihr ist auf mehreren Plastiktüten eine schwarze Schubkarre für die Gartenarbeit an die Wand gelehnt.
Daneben befindet sich die Kochecke. An der Wand klebt ein alter Zeitungsausschnitt mit dem Porträt von Präsident Obama. Viel Platz haben wir nicht, aber ich fühle mich wohl, denn es ist sauber. Die Behausung ist mit Holzpfählen und Lehm, der allerdings an einigen Stellen abbröckelt, errichtet worden. Anne erinnert mich an Priscilla, die ich vor vielen Jahren in Mombasa kennengelernt habe. Mit ihr lebte ich ein paar Monate in einer ähnlichen Hütte, als ich damals nach Mombasa kam, um Lketinga zu heiraten, wie ich es in meinem ersten Buch »Die weiße Massai« beschrieben habe.
Anne
Weitere Kostenlose Bücher