Afrika, Meine Passion
uerst besuchen wir eine Gruppe von jungen Männern, die sich ihren Lebensunterhalt mit den sogenannten »Gardens in a Sack« verdienen. Sie haben Glück, denn sie haben ein Stückchen Land außerhalb des Slums bekommen, direkt neben der Hauptstraße. Allerdings ist es laut und stinkt nach Abgasen. Alle paar Sekunden rattert ein lärmender Lastwagen vorbei. Beim Betreten des kleinen Streifen Landes sehe ich, dass die jungen Männer zügig arbeiten. Einige graben die Erde um, andere suchen kleinere Steine zusammen. Überall stehen weiße Plastiksäcke, aus denen grünes Kraut wächst. Ich werde Antony vorgestellt. Er ist 28 Jahre alt und so etwas wie der Chef, obwohl alle gleichberechtigt sind. Er ist mittelgroß, hat muskulöse Arme und trägt eine rote Mütze auf seinem Kopf. Er soll mir erklären, wie und warum sie hier arbeiten.
Antony beginnt: »Weißt du, Corinne, bevor wir die Möglichkeit bekommen haben, auf diese Weise unseren Lebensunterhalt zu verdienen, waren wir alle Diebe und Taugenichtse. Wir haben gestohlen, was ging, selbst Nachbarn waren vor uns nicht sicher. Aber was willst du machen, wenn dir dein Magen sagt, dass er Hunger hat. Außerdem haben die meisten von uns Drogen genommen, damit sie dieses Elend ertragen können. Einige haben die Schule abgeschlossen und trotzdem keine Arbeit gefunden. Ich war kein schlechter Schüler, obwohl ich im Slum geboren bin, wie schon meine Mutter. Ich lebte auf engstem Raum mit fünf weiteren Geschwistern. Meinen Vater kenne ich nicht. Vielen Jungs ergeht es so. Dann schließt man sich zusammen und bildet eine Gang. Wir waren an die fünfzig Jugendliche, von denen nicht mehr alle leben. Etwa zwanzig von uns wurden von der Polizei erschossen, weitere zehn sitzen in Gefängnissen. Die restlichen 17 arbeiten heute hier im Projekt. Die Männer sind zwischen 19 und 32 Jahre alt.
Angefangen haben wir im Januar 2009, denn durch das Chaos nach der Wahl mit den vielen Toten wurde es für uns alle noch schlimmer. Doch da trafen wir einen Trainer, einen sogenannten Motivator von Solidarités, der uns klarmachte, dass wir mit unserer Lebensweise bald alle unter der Erde liegen würden wie unsere Brüder. Wenn wir gleich mit einem neuen Leben beginnen würden, bekämen wir sogar ein Stückchen Land, erklärte er uns. Der Besitzer dieses kleinen Grundstückes ist froh, dass er bei den Unruhen nicht umgebracht wurde. Als Dank hat er dieses Land zur Verfügung gestellt.
Das Pflanzsystem ist einfach: Man füllt einen 100-Kilo-Plastiksack mit guter Erde und mittelgroßen Steinen. Das heißt, in der Mitte wird eine Steinsäule errichtet und rund herum wird Erde aufgefüllt. Das bewirkt beim Bewässern eine gleichmäßige Durchfeuchtung. In die gefüllten Säcke werden 30 bis 50 kleine Löcher geschnitten, durch die man Sukuma Wiki [eine Art Grünkohl] oder anderes Gemüse einpflanzt. Ein Sack braucht nicht viel Platz, vielleicht 30 mal 30 Zentimeter, aber es wächst außen herum sehr viel Gemüse in die Höhe. Die Setzlinge bekommen wir von Solidarités. Zweimal täglich muss gegossen werden. Schon nach vier Wochen kann das erste Gemüse geerntet werden, danach alle zwei Wochen. Natürlich bepflanzt man nicht alle Säcke gleichzeitig, damit man zu unterschiedlichen Zeiten ernten kann«, erklärt Antony kompetent und ruhig.
Ich bin begeistert und schaue mir die Säcke an. Bei einigen ist das Gemüse reif, bei anderen sprießen erst die Setzlinge. Einer der Männer zupft verwelkte Blätter ab und wirft sie herumpickenden Hühnern zu. Auch diese gehören zum Projekt, erfahre ich. Wer gut arbeitet, kann zusätzlich mit einer Hühnerzucht beginnen und hat so Eier für den Eigenbedarf oder zum Verkauf. Dasselbe gilt für die Kaninchen, die ich in einigen kleinen Holzställen entdecke. Diese Behausungen sind in die Höhe gebaut, damit kein Platz verschwendet wird. Auf dem Dach des Kaninchenstalles liegen durchsichtige Plastikflaschen in der Sonne, die mit Wasser gefüllt sind. Nach sechs Stunden Sonnenbad ist es keimfrei und kann als Trinkwasser gebraucht werden.
Antony erzählt mit Stolz, dass jeder von ihnen auf diese Weise umgerechnet 80 bis 100 Euro im Monat verdient und damit überleben kann. Er selbst hat eine Frau und zwei Kinder. Seine Frau ist froh, dass er jetzt eine ehrliche Arbeit hat, und die Nachbarn zollen ihnen Respekt. Die jungen Männer haben sich einen guten Namen erarbeitet. Heute kaufen viele Leute bei ihnen Gemüse, Eier und manchmal auch ein Huhn. Darüber hinaus
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