Afrika, Meine Passion
angeboten werden. Auf einem Holzgestell liegen mehrere aufgeschnittene Fischköpfe sowie »Fischskelette« mit Kopf und Schwanz zum Trocknen in der Sonne, mit Fliegen übersät. Am Abend werden die getrockneten Teile verkauft und zu Fischsuppe verarbeitet, erläutert Pastor Elly. Er kümmert sich mit bescheidenen Mitteln – manchmal reicht es nur für tröstende Worte – um 3.000 Haushalte, in denen sehr arme Menschen leben.
Oft werden wir von Kindern begrüßt. Sie fragen immer dasselbe im Chor: »How are you? How are you?« Das wiederholen sie so lange, bis wir um die nächste Ecke verschwunden sind. Einige der Wellblechhütten sind lustig und bunt hergerichtet. Gerade vor mir sehe ich eine blaue Hütte, die mit verschiedenen Frisuren bemalt ist. Der Eingang zum Friseurladen ist allerdings verschlossen. Vermutlich kommen heute keine Kunden mehr. Ein paar Schritte weiter wächst vor einer Wellblechwand ein ausladender Rosenstrauch. So unerwartet vor den roten, duftenden Blüten zu stehen, stimmt mich unwillkürlich fröhlich in dieser für mich fast unwirklichen Welt.
Ein Slum hat eine abstoßende, aber auch eine faszinierende Seite. Man kommt mit Situationen in Berührung, die man als Europäer nirgendwo sonst sehen oder kennenlernen kann. Es ist durchaus nicht alles nur traurig oder elend. Das liegt vor allem an den Menschen, die hier leben. Überall sehe ich diskutierende, lachende, manchmal auch streitende Gruppen. Die Kinder sind meistens fröhlich, wenn auch ihre Gesichter häufig viel älter wirken als ihre kleinen Körper. Und so dreckig und schlammig die Wege auch sein mögen, die Bewohner selbst tragen größtenteils saubere Kleider. Mir ist nicht klar, wie sie das schaffen, denn ich bin schon nach ein paar Stunden in Kibera von oben bis unten verschmutzt.
Eine Frau versucht, Mandazi zu verkaufen. Ich liebe diese kleinen, in Öl gebackenen, dreieckigen Mehlfladen. Sie hat auf einem kleinen Holzschemel ein Plastikkörbchen aufgestellt, in dem sie die Mandazi aufbewahrt. Links von ihr bietet ein anderer Händler seine mit Holzkohle gefüllten Blechdosen an. Rechts hält ein Messerschleifer mit dem Fuß ein Gerät in Schwung, das er aus einem Fahrrad gebastelt hat.
Pastor Elly bleibt vor der Frau stehen und stellt uns Irene vor. Überrascht reiche ich ihr die Hand. Sie sieht viel älter aus als 23, obwohl sie noch den grünen Rock ihrer ehemaligen Schuluniform trägt. An ihrer linken Seite trägt sie ein Baby. Die junge Frau wirkt zierlich und hager. Ihre Haare sind zu engen Zöpfchen entlang des Kopfes geflochten. Die Füße stecken in Plastik-Flipflops unterschiedlicher Farbe. Auch sie führt uns nun zu ihrer Hütte. Diese ist, im Gegensatz zu Annes Lehmhaus, komplett aus Wellblech gebaut. Drinnen sind die Wände mit langen Stofftüchern verkleidet, damit es einigermaßen wohnlich wirkt. Auf dem Erdboden ist dickes Plastikmaterial ausgelegt. Ein Fenster gibt es nicht. Wir setzen uns auf kleine Holzhocker und Irene lässt sich auf ihrem schmalen Bett nieder. Hinter ihr hängt ein weißes, schön besticktes Tuch, das ihr Bett etwas verstecken soll. Es ist sehr warm in dem kleinen Raum. Während das etwa neunmonatige Kind in einem Plastikstühlchen sitzt und an einem Lollipop lutscht, beginnt sie zu sprechen, wobei sie als Erstes erwähnt, dass sie ohne Pastor Elly und Solidarités nicht mehr am Leben wäre.
Ich hätte gerne, dass sie von Anfang an erzählt und frage deshalb nach, wie sie hierher in den Slum gekommen sei. Irene redet mit leiser Stimme, wohl auch, damit die Nachbarin uns nicht hören kann. Jedes laute Wort dringt ungedämpft durch die dünnen Blechwände.
»Ich bin 2003, also mit 16 Jahren, hierhergekommen. Zuvor hatte ich die vierte Klasse in der High School beendet. Geboren bin ich im Westen von Kenia. Wir lebten auf einer kleinen Farm und ich bin die Erstgeborene von neun Kindern. Mein Vater war Schulbusfahrer in derselben Schule, die ich mit meiner besten Freundin besucht habe. Sie war etwas älter als ich. Eigentlich war das Leben soweit in Ordnung, bis meine Mutter starb, kurz nachdem ich die vierte Klasse beendet habe. Warum sie gestorben ist, weiß ich nicht. Aber im Nachhinein denke ich, es war der Kummer. Denn nur kurze Zeit nach ihrer Beerdigung fand ich heraus, dass mein Vater ein Verhältnis mit meiner besten Freundin hatte. Es war ein Schock für mich, und ich bin sicher, das hat auch meine Mutter umgebracht. Als Älteste musste ich nun die Farm und meine kleinen
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