Afrika Quer (German Edition)
Reihe. Vor genau einer Woche hatte ich noch herzlich gelacht. Ein Südler in Kano erzählte mir, dass die Einführung der Scharia im Norden nur ein Trick sei, um Geld aus dem libyschen Revolutionsführer Muammar Gaddafi herauszuleiern.
Dass Gaddafi in Nigeria schon seit langem den Feind seiner Politik in Westafrika und einen Agenten der USA sieht, ist kein Geheimnis. Und dass er deshalb sein Geld benutzt, um Nigeria zu schaden, nicht unwahrscheinlich.
Außerdem erzählte jeder in der Stadt von den vielen arabischen Delegationen, die in Gusau zu Gast waren. Aber dass die Scharia im Norden Nigerias nur eingeführt wurde, um an Gaddafis Geld zu kommen, habe ich trotzdem nur für eine gelungene Übertreibung gehalten oder die übliche Verschwörungstheorie, wie sie Afrikaner immer schnell zur Hand haben.
Doch nun, nach ein paar Tagen in Gusau, fand auch ich, dass das Geld beim Gouverneur ein bisschen zu reichlich zu fließen schien. Bei dem Interview mit dem Gouverneur hatte ich nichts zu verlieren. Ich konnte nur einmal mit ihm sprechen. Dann war ich wieder weg. Deshalb fragte ich nun ohne Umschweife, ganz direkt, wo das viele Geld herkam, das er zur Verfügung hat?
Die ganze Zeit war der Gouverneur nicht gefordert worden. Er hat auswendig gelernte Koransprüche heruntergeleiert und sie aufgesetzt für uns interpretiert. Er hat sein trainiertes Programm abgespult, und niemand hat nachgefragt. Aber meine direkte Frage erwischte ihn nun sichtlich auf dem falschen Fuß. Für einen kurzen Moment fiel die joviale Maske aus seinem Gesicht, und die blanke Angst schien durch. „Weiß er?“, schienen seine angsterfüllten Augen sagen zu wollen. „Weiß er?“
Ich wusste. Wie hätte ich auch nicht wissen können! Denn ich hatte die rund 200 neuen, noch nicht ausgepackten Motorräder auf dem Hof des Gouverneurspalastes gesehen. Sie wurden kostenlos an die Klienten des Gouverneurs verteilt, und die würden bald Motorradtaxis aus ihnen machen. Außerdem standen dort sechs nagelneue Traktoren. Davor war auf dem Hof schon einmal eine Ladung fabrikneuer Motorräder gestanden und davor schon Minibusse, gebrauchte Personenwagen, Fahrräder und ganz am Anfang sogar Esel. „Der ganze Hof war voll mit ihrem Mist“, erzählte mir jemand. „Es hat dermaßen gestunken, dass sie ganz schnell verteilt werden mussten.“
Außerdem war ich am Tag vor dem Interview im größten Hotel der Stadt, dem Gusau Hotel. Auf der Theke der Rezeption stand ein Schild: „Es tut uns leid, aber alle Zimmer sind belegt.“ Und dessen Manager Sanusi Lawal Jobe sagte mir: „Seit der Einführung der Scharia ist unser Umsatz um dreißig Prozent gestiegen.“
Gusau ist im Augenblick wohl in so einer Art Goldgräberstimmung, schlug ich vor. „Ja, genau! Das ist genau das, was ich meine!“, bestätigte er.
In der Stadt wurde herumerzählt, dass der Gouverneur auch Bargeld in seinem Palast verteilte. Die Bittstellerdelegationen habe ich ja selbst gesehen. Also, soviel Geld konnte ganz sicher nicht, wie mir der Gouverneur weismachen wollte, von einer rationalisierten Steuereintreibung kommen. Er war auf eine reichlich sprudelnde Geldquelle gestoßen. Das war sicher. Ich musste nur eins und eins zusammenzählen. Wie konnte ich also nicht wissen!
Wenn man ehrlich gewesen wäre, hätte man schon ganz am Anfang einräumen müssen, dass die Einführung des islamischen Strafgesetzes im Norden Nigerias das erste Mal gewesen wäre, dass in Afrika jemand etwas um des Prinzips Willen getan hätte. Wenn man einmal das Verhältnis von Patron und Klient verstanden hat, nach dem in Afrika Staaten, Parteien, Dörfer, Familien, im Grunde alle menschlichen Beziehungen untereinander organisiert sind, ist der Grund dafür einfach zu verstehen.
In Afrika gibt es so viele Klienten, die einen Patron suchen, der sie durchs Leben füttert, dass jemand mit Geld so viele davon um sich scharen kann, wie er nur will. Damit kauft er die Loyalität seiner Klienten. Und die wiederum werden, wenn sie genügend zu verteilen haben, selbst zum Patron, der sich wieder Klienten kauft und so weiter und so fort, bis man unten auf der Ebene der Familie angelangt ist, wo es keine Grenzen für einen Mann mit Geld gibt, so viele glückliche Ehefrauen zu finden, wie er will.
In den sechziger Jahren waren so aus Afrikas Politikern Kapitalisten geworden oder Kommunisten eben, je nachdem welches Lager mehr verteilen zu können schien. In den siebziger Jahren wurden aus ihnen dann authentische
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