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Afrika Quer (German Edition)

Afrika Quer (German Edition)

Titel: Afrika Quer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Boehm
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ihm gebracht hatte, aber nicht mit mir selbst.
    Heute jedoch erschien der Richter geläutert. Seine Augenlider flatterten und seine Stimme stockte, als er einräumen musste, die Angeklagten des heutigen Verhandlungstages seien noch nicht gebracht worden.
    „Jetzt ist es 10 Uhr 30“, sagte er. Es war fast elf. „Wir haben die Gefangenen schon lange angefordert, aber es gibt nur einen Transportwagen für die ganze Stadt.“
    Kano ist eine Millionenstadt, aber ich hatte schon vorher gemerkt, dass in ihrem Justizsystem nicht alles gold sein konnte.
    Als ich gestern im Scharia-Berufungsgericht, der höchsten Instanz der Stadt, meinen heutigen Besuch organisiert habe, wurde ich dem obersten islamischen Richter vorgestellt. Ein Buchhalter stand gerade neben dem Schreibtisch des Großen Kadi und zeigte ihm eine Liste mit den Namen von zwanzig Angestellten. Bei allen waren in der Spalte Gehaltsrückstände „sieben Monate“ vermerkt.
    Die Justizbeamten gestern dort waren froh, einen europäischen Journalisten herumzuführen, das merkte man. Denn die Einführung der Scharia hatte im Westen eine sehr schlechte Presse. Das wollten sie ändern, in dem sie mir den Neuanfang im Justizsystem in Kano zeigten.
    Als dann jedoch einer der Beamten mit mir zu zwei Scharia-Gerichten fuhr, waren die Richter nicht da. Einer war angeblich nicht gekommen, weil seine Mutter gestorben ist. Der zweite war im Scharia-Berufungsgericht – von wo wir gerade kamen.
    „ Mit den Scharia-Gerichten ist es noch etwas schwierig“, fand deshalb auch der Justizbeamte und fuhr mich schließlich zum Richter mit der Schaffellmütze und den stechenden Augen in Gyadi Gyadi.
    Er präsidierte bei einem von sieben Hohen Scharia-Gerichten in Kano. Dort werden große zivilrechtliche Verfahren und schwerwiegende kriminellen Vergehen verhandelt, klärte mich der Beamte auf. Für den nächsten Tag standen dort Verfahren wegen Alkoholkonsums auf dem Programm, ließ mir der Richter in Gyadi Gyadi duch den Justizbeamten sagen und bestellte mich für zehn Uhr am nächsten Morgen.
    Weil die Angeklagten um 11 Uhr 30 jedoch immer noch nicht aus dem Gefängnis angeliefert wurden, begann der Richter Gyadi Gyadi mit den Zivilverfahren.
    Der Gerichtssaal war in der Mitte durch eine Wand getrennt. Ungefähr vierzig Frauen saßen auf der linken Seite auf ein paar Holzbänken, die auf der Seite der Männer rechts waren noch etwas besser gefüllt. Nur der Richter an seinem Pult auf einem Podest konnte sowohl die Hälfte der Männer als auch die der Frauen einsehen.
    Hinter ihm an der schlicht weiß getünchten Wand hing ein Bild des Großen Kadi und eine abgegriffene Ledertasche mit einem Koran darin. Zu seinen Füßen war eine Bank für die Rechtsanwälte und auf der Seite der Männer ein kleiner Tisch für den Mann von der Kriminalpolizei. Er war gleichzeitig Ankläger.
    Die zwei Geschäftszimmer des Gerichts waren vorne, links und rechts des Eingangs. In einem stand ein wackliges Regal mit durcheinandergewirbelten, vergilbten Papieren. Sicher Müll, Abfall für den Reißwolf, dachte ich - bis mir einer der Angestellten versicherte, dass das die Gerichtsakten seien.
    Zuerst wies der Richter eine junge Frau zurecht, die zwar ein Kopftuch, aber auch Lippenstift trug. Sie war gekommen, um sich scheiden zu lassen, aber nun musste sie sich eine lange Tirade von ihm anhören, dass es unislamisch sei, sich zu schminken, und ich, der zu seinen Füßen auf der Anwaltsbank saß, dass britische Männer zum Zeichen ihrer Homosexualität einen Ohrring tragen.
    Also, ähm, ich glaube, stammelte ich, es gibt auch Männer, die Ohrringe tragen und nicht homosexuell sind.
    Der Richter war von den geschminkten Frauen auf die schockierenden Zustände in Großbritannien gekommen. Er wechselte ins Englische und sprach mich direkt an. Er erwartete eine Antwort. Was sollte ich sagen?
    Kurz danach musste der Gerichtsdiener einen Zornausbruch des Richters über sich ergehen lassen, weil er laut schnatternd durch den Saal gelaufen war, während der Richter sprach. Mit diesem Richter war auf jeden Fall nicht zu spaßen. So viel war mir jetzt schon klar.
    Am Nachmittag knöpfte er sich sogar einen Zeugen vor. Der alte Mann war nur ins Gericht gekommen, um zu bestätigen, dass es seine Ziege war, das in der Nacht zuvor gestohlen wurde. Aber so einfach ließ ihn der Richter nicht davonkommen. Der alte Mann ließ das Tier, wie es jeder in Afrika tut, vor seinem Haus herumlaufen und von dem Gras und den

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