Afrika Quer (German Edition)
sonderbare Verwandlung des Ahmed S. (Gusau)
Es verging keine Minute, nachdem ich in Gusau aus dem Auto gestiegen war und mich auf ein Motorradtaxi setzte – schon hielt mich jemand an!
„ Ssst!“, hörte ich hinter mir. „Ssst!“
Das war erst einmal nichts besonderes. Wegen meines Aussehens, meiner Hautfarbe, fühlten sich viele Afrikaner aufgefordert, mich anzuhalten. Ärgerlich wurde es nur, wenn der Fahrer darauf hörte und nicht auf meine Klopf- und Handzeichen, doch einfach weiterzufahren.
Dazu war es jetzt aber schon zu spät. Wir standen bereits. Ein Motorradtaxi hielt neben uns. Erst war es uns entgegenkommen, machte dann jedoch eine waghalsige Kehrtwendung und nahm sofort die Verfolgung auf.
Auf dem Rücksitz saß eine attraktive, junge Frau, höchstens zwanzig Jahre alt, mit erdbeerrot geschminkten Lippen und bis zu den Brustwarzen reichenden Rasta-Zöpfen. Sie war bestimmt eine Südlerin.
Was wollte sie von mir? War das eine Falle, ein Trick, um mich auf die Probe zu stellen?
Erst vor einer halben Stunde hatte ich an der Landesgrenze ein Schild mit der Aufschrift „Zamfara - Heimat der Landwirtschaft und der Scharia“ in großen roten Buchstaben passiert. Was darauf wie eine Errungenschaft, ja, wie eine Touristenattraktion angepriesen wurde, hatte bei mir die Alarmglocken schrillen lassen.
Die Scharia gilt nur für Muslime, aber man lässt es ja nicht darauf ankommen. Und Zamfara war auf jeden Fall das erste Bundesland im Norden Nigerias, das das islamische Strafrecht eingeführt hat. Ja, sein Gouverneur Ahmed Sani, war überhaupt derjenige, der mit seiner Idee erst den ganzen Schlamassel, die Kettenreaktion der Islamisierung auslöste. Sie hat inzwischen fast alle Bundesländer im Norden erfasst. Und jetzt jagte mich eine schwer aufgerüschte junge Dame durch die Straßen seiner Hauptstadt und wollte mich ganz sicher in Schwierigkeiten bringen!
Aber sie war wirklich süß. Und sie schien mich zu kennen.
„Du bist doch von der Abdullahi-Familie“, sagte sie, ohne mich zuvor begrüßt zu haben.
Ich war total perplex: Ähm, nein.
„Aber du kennst jemand von der Mammadou-Familie?“
War das irgendeine Parole, ein Code, an und mit dem sich Scharia-Feinde in der Stadt erkannten und untereinander verständigten?
Offenbar musste ich hier ein Missverständnis aufklären. Deshalb sagte ich: Ich komme von einer europäischen Familie.
Aber das schien für sie ohne Bedeutung. Sie flirtete und flötete munter weiter in ihrem melodischen Pidgin-Englisch, wie es vor allem Nigerianer im Niger-Delta sprechen.
Guckten uns schon die Leute an? Standen sie schon in Trauben um uns herum?
Das focht die Frau mit dem Erdbeermund überhaupt nicht an. Dass wir am Rand einer belebten Straße standen, schien sie eher anzuregen. Sie schnatterte weiter.
Wie? Ich konnte ihren Akzent nicht verstehen, und das sagte ich auch. Deshalb musste sie dann doch irgendwann aufgeben.
„ Oh Mann, du verstehst ja überhaupt nichts!“ sagte sie resigniert und schwang sich mit einem koketten „Bis bald!“ auf ihr Motorradtaxi.
Was verstand ich nicht? Ganz sicher wollte sie mich in Teufels Küche bringen.
Drei Tage später hatte ich ein Interview mit dem berühmten Gouverneur des Zamfara-Bundeslandes, Ahmed Sani. In Kano und Kaduna waren inzwischen Plakate mit seinem Konterfei aufgetaucht, die ihn als Kandidaten für die nigerianischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2003 ins Spiel brachten. Bei vielen galt er als Hoffnungsträger des Nordens, der den Präsidenten Olusegun Obasanjo aus dem Süden herausfordern sollte.
Nach einem Hauch von Endzustand – Löcher in den Stühlen, Löcher in der Decke, heraushängende Kabel - im muffigen Zimmer seines Pressesprechers, saß ich im Wartesaal des Gouverneurs und wunderte mich. Hier war kein Endzustand.
Der Saal war lichtdurchflutet, adrett weißgekachelt und klimatisiert. Auf zwei großen Fernsehern lief CNN, und die dazugehörigen Sitzgruppen neuer Ledersofas waren restlos mit Bittsteller-Delegationen belegt.
Neben mir saß ein malaysischer Journalist. Seine Zeitung hatte ihn hierher geschickt, um eine Artikelserie über die Einführung der Scharia in Nord-Nigeria zu schreiben. Auch in Malaysia gibt es eine islamistische Bewegung. Die Bittsteller im Wartesaal fand der Journalist besonders witzig. Und er sprach mit Spott über das, was er in Gusau gesehen hat.
„Das islamische Strafgesetz macht nur einen sehr kleinen Teil einer islamischen Ordnung aus“, sagte er und
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