Afrika Quer (German Edition)
immer langsam, spekulierte auf die Ehrerweisung, blieb dann stehen, legte sein sanftes Lächeln auf und nickte würdevoll.
Bei dem Interview ein paar Minuten zuvor hatte er gesagt, dass die Hausa sehr traditionsbewusste Leute seien. „Für sie ist ihr Emir sehr wichtig, denn er ist das Symbol ihrer Kultur. Sie sollten einmal sehen, wie sie den ganzen Tag im Hof des Palastes warten, um mich sehen zu können.“
Das hatte ich gesehen. Aber ich fragte mich nun, ob zu diesen Huldigungen nicht zwei Parteien gehörten. Mir waren die Kniefälle peinlich. Und sie dauerten. Wäre ich Emir gewesen, hätte ich sie ganz sicher abgeschafft. Aber der Emir sagte nun: „Wir halten das nicht für rückständig, wenn sich jemand vor einen anderen hinkniet. Es drückt Respekt aus für das Alter, für die Weisheit.“
Nur: Der Emir war ein gebildeter Mann, er hatte die Welt bereist. Ich verstand nicht, wie ihm die Kniefälle nicht peinlich sein konnten. Und er verstand nicht, warum ich das nicht verstand.
„ Ich respektiere die Traditionen meiner Kultur“, sagte er wie selbstverständlich. „Ich bin sehr stolz auf meine afrikanischen Wurzeln. Ich war niemals jemand aus dem Westen. Ich war immer ein Afrikaner.“
Da war sie wieder die Tradition, die man nicht aufgibt, die man einfach nicht aufgibt. Der Emir hatte in England und den Vereinigten Staaten studiert. Er war ein Jahr ununterbrochen durch die Weltgeschichte gereist und hatte inzwischen jeden Erdteil besucht. Aber zurückgekommen war er als derjenige, als der er losgefahren war. Dass seine Untertanen ihn sehr verehrten, wunderte mich nicht. Sie waren ungebildet. Ich fragte mich nur, ob es nicht die Aufgabe eines Anführers gewesen wäre, der das Privileg der Bildung genoss, seinen Leuten Impulse zu geben, sie zu fordern und nicht ihre Erwartungen zu erfüllen, die sie ohnehin hatten.
Deshalb ließ ich nicht locker. Musste sich nicht auch eine Hausa-Monarchie weiterentwickeln, um den Herausforderungen der Zeit begegnen zu können?, fragte ich ihn.
„ Nur würden Sie das wirklich wollen?“, erwiderte der Emir. „Dann wäre ja bald die ganze Welt gleich, und es gäbe für sie keinen Grund mehr, hierher zu kommen.“
Das Argument, dass bald die ganze Welt gleich aussehe, habe ich auch schon oft in der rechtsextremen Deutschen National-Zeitung gelesen. Klang das Argument weniger völkisch, weil es von einem Afrikaner benutzt wurde?
Wir waren schon wieder auf dem Rückweg. Ein paar Kinder auf einem Feldweg machten wieder einmal ihre Bücklinge vor dem Emir, als eine junge Frau ohne Kopftuch, in knappem T-Shirt und engen, bis zu den Knien reichenden Hosen auf uns zugestürmt kam.
Sie war sicher eine Südlerin. Sie schaute sich kurz um, schüttelte den Kopf und rauschte – Wusch! - erhobenen Hauptes mitten durch die Huldigungsszene. Der Emir tat erschrocken einen Schritt zur Seite, ein Tattergreis, der sich schnell in Sicherheit brachte, um einem auf ihn zurasenden D-Zug auszuweichen.
So ging’s. Ohne seine devoten Untertanen war der Emir ein etwas exaltierter alter Mann in einer schönen Hülle, um den sich weiter niemand kümmern musste.
Und mit der Tradition ist das so eine Sache in Afrika. Die des Emirs von Dutse reichte zwar ein paarhundert Jahre zurück, aber wie viele andere in den kleinen Orten der Region war er im 19. Jahrhundert zum Bezirkschef des mächtigen Emirs von Kano herabgesunken. Zum Emir war er erst wieder 1991 befördert worden, als Dutse Hauptstadt des neugeschaffenen Jigawa-Bundeslandes wurde. Vom äußerst neuzeitlichen Militärgouverneur im übrigen.
Erst vor kurzem war aus einem Bezirkschef also wieder ein Emir geworden. In den Dörfern des Emirates waren es die tribalen Sicherheitskräfte, die gegenüber der Bundespolizei die Oberhand behalten haben, und das westlich-aufgeklärte Strafgesetzbuch war in Jigawa gerade erst durch die Scharia ersetzt worden. Ihre Grundzüge wurden in den Regierungsjahren Mohammeds und der ersten vier Kalifen geprägt, also vor rund 1.400 Jahren.
Die Tradition war in Dutse also nicht nur äußerst lebendig, sie war sogar auf dem Vormarsch. Sie war dabei, die aufgeklärten, von den Kolonialmächten gebrachten Errungenschaften zu ersetzen. Das Alte fraß das Neue, das es offenbar nie zur Tradition gebracht hat.
Ich kann mich täuschen, aber ich denke mal, dass Afrika einer der wenigen Kontinente ist, in dem der Lauf der Zeit umgekehrt ist: Erst war die Gegenwart, und dann kommt die Vergangenheit.
Die
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