Afrika Quer (German Edition)
Moslem, deshalb verdiene er die Solidarität seiner Glaubensbrüder.
Die Arbeit der Hisba sei notwendig, erklärte er mir in dem winzigen Büro, das die Miliz aus privaten Spenden in Tukuntawa angemietet hat, „weil Nigeria völlig auf den Hund gekommen ist.“ Bei dem Wort Nigeria verzog er das Gesicht, als handele sich um eine ansteckende Krankheit. „In den Schulen können sie ihrem Kind einen Abschluss kaufen, die Polizei und die Gerichte sind korrupt, und die Verbrecher machen, was sie wollen.“
Außerdem versuche die Bundespolizei, die Arbeit der Hisba zu boykottieren, so gut es geht. „Die meisten Polizisten kommen aus dem Süden. Den Ziegendieb mussten wir heute zum Beispiel selbst nach Gyadi Gyadi transportieren. Angeblich hatte die Polizei kein Auto.“
Auwalu erzählte in dunklen Andeutungen von einer großen Aktion gegen ein Haus in ihrem Viertel, in dem Verbrecher Unterschlupf finden. Deshalb habe er schon mehrmals Morddrohungen bekommen, sagte er.
Der mutmaßliche Ziegendieb behauptete bei Gericht, er habe das Tier gestohlen, weil er Medizin für seinen Vater kaufen wollte. Der habe Tuberkulose. Nachdem die Hisba das durch einen Telefonanruf nachgeprüft und herausgefunden hatte, dass der junge Mann log, brach er zusammen und gestand alles.
Alle Angeklagten, die vor dem Richter mit dem stechenden Blick standen, wurden wie Wachs in seinen Händen. Ich habe keinen einzigen Angeklagten seine Tat leugnen hören. Alle hatten keinen Anwalt, und keiner wollte in Berufung gehen.
Als ich nach dem Verhandlungstag den Richter interviewte, sagte er, dass dem Ziegendieb wohl nicht die Hand amputiert werden müsse, denn das Diebesgut habe nicht den dafür nötigen Wert.
Die Vergeltung sei dennoch eines der tragenden Prinzipien des islamischen Strafgesetzes. „Einem Mann, der seinem Opfer das Auge ausgestochen hat, werden wir wohl sein Auge nehmen müssen“, sagte der Richter mit einem Funkeln in den Augen in Bezug auf einen anderen seiner Fälle.
Um 12 Uhr 30 schließlich wurden die Angeklagten aus dem Untersuchungsgefängnis gebracht. Sofort brach der Richter seine Zivilverfahren ab und begann mit den Verhandlungen gegen sie.
Als erster wurde ein 19-jähriger vorgeführt, der vor einem Monat im Dorf Kumbotso, fünfzehn km außerhalb von Kano, von der Hisba beim Marihuana Rauchen erwischt wurde.
Der dortige Hisba-Chef Adam Umar Usman, ein pensionierter Armeemajor mit einem grauen Ziegenbärtchen, hat ihn nachts um halb zwei festgenommen. Auch er war jeden Tag im Gericht von Gyadi Gyadi, und auch er kam mir reichlich paranoid vor.
Für die Jugendlichen in seinem Dorf organisiere er ein militärisches Training, erzählte er mir stolz. „Wir Muslime müssen vorbereitet sein.“ Mit einer Gruppe von fünfzehn Männern laufe er jede Nacht bis vier Uhr Streife. „Dann schlafe ich zwei Stunden.“ Und am Tag führte er beim Gericht die Verdächtigen vor, zupfte an ihren Kleidern, befahl ihnen sich hinzuknien und machte sich überhaupt nützlich, wo er konnte.
Die Beweisaufnahme gegen den 19-jährigen Marihuana-Raucher hatte der Richter schon beim vergangenen Verhandlungstermin abgeschlossen. Heute verlas er nur das Urteil. Der junge Mann hatte keinen Anwalt, und er hatte gestanden. Da er schon einmal wegen desselben Vergehens verurteilt worden war, wurde er diesmal außer zu achtzig Peitschenhieben auch zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.
Die Urteilsbegründung las der Richter aus seinem dicken Buch vor, in dem er die Verfahren protokollierte und in dem er auch seine Urteile festhielt. Der 19-jährige hatte gefehlt, obwohl er Gottes Gesetz kannte, sagte der Richter. „Und trotzdem hat er dagegen verstoßen. Verhalten sich so gute Muslime!“, polterte er.
Dann zitierte er zwei Koranverse und eine Stelle der gängigsten Hadith-Sammmlung, einem Buch, in dem die Handlungen und Äußerungen des Propheten Mohammed gesammelt sind.
Das islamische Strafgesetz und die gesamte Rechtspraxis wurden in Mohammeds Regierungszeit und der darauffolgenden ersten vier „rechtgeleiteten“ Kalifen geprägt. Die vier galten als seine treuesten und frömmsten Anhänger oder waren sogar seine Verwandte.
Die Strafgesetzbücher, die die nord-nigerianischen Bundesländer eingeführt haben, orientieren sich an denen des Sudan und Saudi Arabiens. Dort gilt das islamische Strafrecht schon seit Jahren.
Allerdings wurde Ahmed in Karthum, nachdem er beim Trinken erwischt worden war, nur zu vierzig Peitschenhieben verurteilt.
Weitere Kostenlose Bücher