Afrika Quer (German Edition)
auf der Bastmatte in seiner Kammer. Er schien das Haus nicht zu verlassen, außer um zu essen, und das tat er seit der zwei Jahrzehnte, die er in Mopti wohnte, immer bei demselben Mann, am selben Stand, auf demselben Markt. Er ging nie ins Kino oder in eine Kneipe, hatte keinen Besitz, außer dem, was in seiner Kammer an der Wand hing.
Und das beste: Er schien seine zwei Ehefrauen im Dogon-Land nicht zu betrügen.
„Was brauche ich mehr?“, sagte er. „Ich habe meine Religion. Die ist mein Leben.“
Sana störte sich nie an meinen Fragen. Manchmal saßen wir zu fünft in der engen Kammer, aber er wurde nie ungeduldig, und er schien auch durch mich nie in Verlegenheit gebracht oder fühlte sich gar angegriffen.
Eine Flut von Journalistenfragen über sich ergehen zu lassen, ist nicht immer einfach. Sie können dumm und unnötig, manchmal auch beleidigend erscheinen. Außerdem ging es um ein heikles Thema, den traditionellen Kult der Dogon, also um Animismus.
Und die Fragen stellte auch noch ein Weißer. Sana musste davon ausgehen, dass ich seinen Berufsstand für rückständig hielt.
Aber er ließ sich nicht beirren. Er war die Ruhe selbst, blieb ausgeglichen wie eine exakt geeichte Waage und kam mir dabei so unbekümmert vor wie ein Kind. Er machte sich nicht kleiner, als er war, und er hatte es auch nicht nötig aufzutrumpfen. Ich war beeindruckt.
Sana saß stets am Boden an der Stirnseite seiner Kammer mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Die Kammer war vielleicht 2 x 2,50 Meter groß und hatte nur ein kleines Loch zur Belüftung. Das Fenster war zugemauert. Die Wände waren nackt und dreckig, und auf dem Boden lag eine Bastmatte.
Sana hatte keine Möbel, nur seine Sachen an Nägeln an den Wänden. Hinter ihm hing seine abgeschabte Ledertasche. Immer wenn Sana verreist, zwei oder drei Mal im Jahr ins Dogon-Land fährt, um seine Heilpflanzen zu sammeln und um seine Familie zu besuchen, hat er diese Tasche dabei. Daran kann jeder erkennen, dass er Heiler ist.
An der Tasche hingen drei Messer. Eines „zum Töten“, das zweite „zum Arbeiten, um Opfertiere zu schlachten“, und das dritte „gehört einfach zur Tasche“.
Außerdem hingen an der Wand noch ein paar Kleider, ein Umhängesack mit der Aufschrift „Chicago Bulls“, seine Schuhe, ein Hosengürtel und seine Talismänner in einer Plastiktüte.
Ohne Umstände nahm er sie für uns heraus. Einige benutzt er selbst. Andere hatte er für seine Kunden auf Vorrat.
Wenn Sana reist, trägt er fünf Gürtel. Für mich sahen sie aus wie aus Leder gedrehte Schnüre, aber ihre Macht bekamen sie, weil Sana ein Gebet über sie gesprochen hat. Der erste beschützte ihn gegen Unfälle. „Selbst in einem Flugzeug wirst du in Wind verwandelt und kommst unversehrt heraus.“ Der zweite für den Krieg. Der dritte für den Frieden. „Niemand kann dich damit provozieren.“ Nummer vier hilft gegen aufdringliche Sicherheitskräfte. „Niemand kann dich nach deinem Ausweis fragen, selbst wenn sie wollten, weil sie dich nicht sehen.“ Und der fünfte schließlich für die Gesundheit. „Niemand kann dir mit Gift in deinem Essen schaden, denn du wirst es nicht essen.“
Dann holte er noch ein „Sirikou“ aus der Plastiktüte. Es sah aus wie eine Leberwurst aus Leder mit ein paar Federn an einem Ende. „Das Sirikou ist etwas für Funktionäre“, erklärte Sana, „die großen Chefs in der Hauptstadt, die eine Menge Geld gegessen haben“.
„Geld essen“ oder manchmal einfach nur „essen“ ist ein Afrikanismus, der allgegenwärtig ist, und den dort jeder kennt. Geld essen bedeutet, sich aus einer fremden, mit Vorliebe der Staatskasse, zu bedienen. „Die großen Chefs sagen ihren Namen auf das Sirikou und fesseln ihn so daran. So kann ihr Name nicht aufkommen und sie jemand mit einem Korruptionsfall in Verbindung bringen.“
Dann zeigte Sana uns noch ein Jutesäckchen mit einem Streifen Tierfell daran. Er war einfach nur zur generellen Protektion auf einer Reise. „Es gibt zu viele Kriege, zu viele böse Geister.“
Wie verabredet kamen wir einen Tag nach dem Vorgespräch am Morgen um acht Uhr zu Sana. Er schlief noch am Boden seiner Kammer. Bis drei Uhr nachts, erzählte er, waren gestern noch Kunden gekommen.
Wie verabredet brachten wir auch zwei Flaschen malischen Rotwein mit. Sana schenkte sich gleich einen großen Plastikbecher voll und trank ihn in großen Schlucken, wie ein Verdurstender.
Dann kam gleich der erste Patient. Ein etwa 40-jähriger
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