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Afrika Quer (German Edition)

Afrika Quer (German Edition)

Titel: Afrika Quer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Boehm
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Muttersprache nicht sprach, musste ihm erklären, was der Begriff bedeutet.
    Natürlich gehörte Aguissa nicht zu den Iklan. Er benutzte immer das französische Wort für Gefangene. Nie sprach er von Sklaven. Seine Mutter war Fulbe, sagte er - also von einer ethnischen Gruppe, die über ganz Westafrika verbreitet lebt. Wie die Tuareg sind die Fulbe schon lange Muslime. Im rechtlichen Sinn der Tuareg konnte Aguissa also nicht zu den Iklan gehören.
    Aguissa machte es mir nicht leicht. Wenn Bruce mir nicht Unterlagen gegeben hätte, die die Situation der Bellas über die Jahre in der Region von Timbuktu beschrieben, hätte ich Aguissa die Geschichten aus seiner idyllischen Kindheit abnehmen müssen.
    Aber er zog sich außerdem an den Stellen, an denen ich ihm historische Tatsachen vorhalten konnte, auf sein schlechtes Französisch zurück. Er tat so, als ob er mich nicht verstand. Das ging ein paar Mal so. Dann warf ich ihm vor, er wolle mich an der Nase herumführen.
    „Das schmerzt mich, dass du das sagst“, verteidigte er sich. „Ich weiß, dass die Weißen ehrlich sind, nicht wie die Schwarzen, die das eine sagen und das andere meinen.“
    Um mich zu beschwichtigen, legte er die Hand auf mein Knie. Ein Patron rutschte ihm heraus. Patron - das franzöGsische Wort für Arbeitgeber/Chef, aber mit derselben Nebenbedeutung wie das deutsche Patron auch. Seitdem nannte er mich immer wieder einmal so. Er, der auf die sechzig zuging. Mich, den mehr als zwanzig Jahre jüngeren!
    Und dann im weiteren Gesprächsverlauf schienen aus heiterem Himmel in Aguissa, so als ob er noch nie darüber nachgedacht hat, so als seien sie ihm gerade im Moment zum ersten Mal überhaupt wieder eingefallen, auch Episoden aus seiner Kindheit hochzusteigen. Sie passten zur damaligen Situation der Bella.
    Die erste, sagte er, musste passiert sein, als er fünfzehn Jahre alt war, also wahrscheinlich in den fünfziger Jahren. Ein Bella aus einem anderen Lager hatte sich in der Nacht zu ihnen geflüchtet. „Am nächsten Morgen sind die Eigentümer gekommen und haben ihn zurückverlangt, aber mein Opa machte ihnen ein Angebot. Er bot ihnen vierzig Schafe, wenn der Bella bei uns bleiben darf. Und sie akzeptierten.“
    Und kurz darauf: „Meine Mutter war keine Gefangene, aber mein Vater ist nie befreit worden. Die Tuareg in Tillamedess haben ihre Bellas nie freigelassen.“
    Sein Vater ist erst in den achtziger Jahren gestorben und ist bis zuletzt in Tillamedess geblieben. Für mich klang die Entrüstung echt, mit der Aguissa das auf einmal erzählte. Als ob ein jahrelang in ihm aufgestauter Ärger sich nun auf einmal Bahn brach. Als werde ihm in diesem Moment die Erniedrigung richtig bewusst, die man seinem Vater ein Leben lang angetan hat. Sein Gesicht drückte Entschlossenheit aus und die Lust zu kämpfen.
    Deshalb schlug ich vor, morgen Abdullatif zu fragen, warum die Bellas in Tillamedess nie freigelassen wurden. Aguissa meinte wieder einmal, das sei kein Problem. Aber als wir beide am nächsten Tag neben Abdullatif im Zelt saßen, sagte der wie selbstverständlich: „Das war doch gar nicht nötig.“ Und Aguissa saß still und ohne jegliche Emotion in seiner Miene daneben. Der Anlass für die Frage war schon lange wieder in viel, viel tiefere Schichten verschwunden.
    In dem Interview kamen wir zum nächsten Punkt. Über Aguissas Zeit in Tillamedess hatten wir gesprochen. Nun begann eine neue Periode, die Aguissa mit dem Satz einleitete: „Ja, und dann habe ich angefangen, für die Weißen zu arbeiten.“
    Der Satz klang programmatisch, so als ob sich in ihm der gesamte neue Abschnitt in seinem Leben zusammenfassen ließ. Deshalb musste ich natürlich sofort denken, dass Aguissa seine Herren in Tillamedess hinter sich gelassen und sie durch neue – die Weißen – ersetzt hatte.
    Aguissa sagte auch, er arbeite ausschließlich für Weiße, aber für ihn, behauptete er, habe das rein pragmatische Gründe. Sie konnten gute Löhne bezahlen. „Hast du schon einmal eine afrikanische Firma gesehen, bei der man etwas verdient? In Afrika verausgabt man sich für nichts und wieder nichts. Das lohnt sich einfach nicht“, sagte er.
    Aguissa hat vor allem auf dem Bau gearbeitet und für eine amerikanische Firma im malischen Teil der Sahara nach Erdöl gesucht. Zwischendurch war er zwei Jahre Chef der Wachleute auf dem zentralen Markt in Abidjan, jener reichen Stadt in der Elfenbeinküste, in die viele Gelegenheitsarbeiter aus den armen Sahelländern

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