Afrika Quer (German Edition)
begonnen.
Auf dem Weg von Toya waren wir an einem modernen Pumpwerk vorbeigekommen. Es sah aus wie eine Schleuse am Niger. Ein Konsortium von Hilfsorganisationen hat es vor ein paar Jahren gebaut, und Aguissa war damals als Bauarbeiter dort angestellt.
Die Reisfelder von Tillamedess waren fast einen Kilometer vom Niger entfernt und mit dem Pumpwerk durch Kanäle verbunden. Die Erde auf den Feldern war hartgebacken, wie gebrannter Ton, und die einzelnen Parzellen waren durch niedrige Erdwälle voneinander getrennt. Sie konnten nur in den vier Monaten nach der Regenzeit bebaut werden, wenn der Niger seinen höchsten Stand hat.
Erst dann konnten Aguissa und ich zu seinem Bruder Tilhouad gehen. Er war jünger als Aguissa, in den vierzigern wahrscheinlich, und schaute immer ein bisschen verdrießlich drein. Er trug einen schmutzigen Umhang und war barfuß.
Auch er hatte zwei Zelte. Die Zelte sahen genau so aus wie die des Chefs. Nur waren keine Kisten und Decken und kein Sattel darin.
Allein mit Tilhouad konnten wir jedoch nicht sprechen, denn ein alter, hellhäutiger Mann, der zuvor schon zusammen mit uns im Zelt des Chefs gesessen hatte, schloss sich uns an, ließ sich nun mit uns zusammen in Tilhouads Zelt nieder und saß neben uns wie ein dunkler Schatten.
Aguissa wurde überall sehr freundlich und mit Respekt empfangen. Sogar die alte Schwiegermutter des Chefs kroch extra aus ihrem Zelt hervor und reichte ihm die Hand.
Er verteilte dafür großzügig Kautabak. Und er trat sehr selbstsicher auf. Er kam mir vor wie der typische Verwandte, der es in der Stadt zu etwas gebracht hat und nun in sein armes Dorf zurückkehrte, um sich ein bisschen bewundern zu lassen.
Die Begrüßung seines Bruders Tilhouad nun fiel viel knapper aus. Viele Neuigkeiten hatten sich die beiden nicht zu erzählen. Genauso war es auch mit Tilhouads zwei Frauen und den Kindern.
Ich stellte Tilhouad ein paar Fragen, und Aguissa übersetzte. Aber aus seinem Bruder war nichts herauszubekommen. Er saß mit dem Rücken an einen Zeltpfosten gelehnt und starrte meistens zu Boden. Ab und zu grunzte er, immer wieder ließ er den Blick zu dem hellhäutigen Mann wandern, der dann irgendwann für ihn antwortete - wenn nicht Aguissa schon selbst, ohne vorher seinen Bruder gefragt zu haben, die Antwort gab.
Darüber wunderte ich mich. Darauf sagte der hellhäutige Mann: „So ist Tilhouads Charakter. Er spricht nicht besonders viel.“
Was sich hier abgespielt hat, habe ich erst viel später verstanden. Aguissa hat mir ja nichts erklärt. Zwar hatte er mir im Zelt des Chefs den hellhäutigen Mann vorgestellt - „Und das ist Abdullatif“ – so als ob er mir schon von ihm erzählt hatte, und ich nun Bescheid wüsste. Aber erst als wir wieder in Timbuktu waren, und er mir sagte, dass sein Bruder für Abdullatif arbeitet, konnte ich mir einen Reim auf das machen, was ich gesehen hatte.
Tilhouads Zelte standen gleich neben denen von Abdullatif. Und auch Aguissa hat, bevor er nach Timbuktu ging, für Abdullatif gearbeitet; und davor schon sein Vater für dessen Vater.
Unsere Arbeit war damit für heute erledigt. Wir hatten dem traditionellen Chef gesagt, wir würden übermorgen wiederkommen, um uns dann in Ruhe zu unterhalten. Und das sagten wir nun auch Aguissas Bruder und Abdullatif. Dann fuhren wir zurück nach Timbuktu.
Am nächsten Morgen ging ich zu Aguissa, um ihn zu interviewen. Sein Haus war sehr einfach und stand in einem Wohnviertel mit flachen Häusern und sandigen Vorgärten in Timbuktu. Es war aus getrockneten Lehmziegeln gebaut und hatte ein Dach aus Wellblech. Darin waren drei Räume.
Einer war für seine drei Söhne und seine Tochter, einer das Wohnzimmer und ein kleinerer für sich und seine Frau. In den zwei Schlafzimmern lagen dünne Matratzen auf dem gestampften Lehmboden. Im Wohnzimmer standen drei Holzsessel. Die Küche war im Hof unter einem Dach aus Ästen.
Ich wollte von Aguissa wissen, warum und unter welchen Umständen er Tillamedess verlassen hat. Gestern hatte er mir auf dem Weg dorthin erzählt, dass er den Turban – das Symbol der Tuareg-Kultur - nicht abgelegt hat, nachdem er aus dem Lager wegzog. „Andere Bellas haben ihn sofort heruntergerissen. Ich konnte das nicht“, sagte er und lachte.
Er wusste genau das Jahr, als er von Tillamedess wegging, so als sei es das zentrale Ereignis seines Lebens gewesen. Sonst tat er sich mit Jahreszahlen sehr schwer.
Und schließlich hat er auch über seinen Bruder Tilhouad
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