Afrika Quer (German Edition)
Kühe, und der Chef nicht, wie er mir gesagt hatte, „eine, zwei oder drei“, sondern zehn.
Das Rätsel löste sich auf, nachdem mir der Songhai-Lehrer von Bruce von seiner Arbeit in Tillamedess erzählt hatte. Am Anfang der Studie hatten die Tuareg nur sehr wenige Kühe. Aber als sie erfuhren, dass die Tiere kostenlos geimpft wurden, vermehrten sie sich auf einmal sprunghaft.
Und so ging es weiter. Nach der Regenzeit zogen die Tuareg mit ihren Herden angeblich in den Norden von Timbuktu, um die Tiere das frischgewachsene Gras dort abweiden zu lassen.
„Das Leben eines Nomaden ist sehr hart und entbehrungsreich“, sagte Ahmed. Aber ich wurde immer misstrauischer, ob das stimmte, weil alle, die ich in dem Lager fragte, im vergangenen Jahr nicht mitgezogen waren.
Abdullatif war zu alt, der Chef und Ahmed hatten wichtiges in Tillamedess zu erledigen, Tilhouad war krank. Und seine Söhne? „Die müssen doch auf den Reisfeldern arbeiten.“
Während der anderthalb Tage, die ich in Tillamedess war, lagen die Tuareg die ganze Zeit in ihren Zelten herum. Für Abdullatif ging Tilhouads ältester Sohn mit den Kühen und Schafen auf die Weide. Die Hausarbeit für Abdullatifs Familie machten Tilhouads Frauen und Töchter. Für die Familie des Chefs machte sie eine andere dunkelhäutige Familie.
Nun lagen wir wieder im Zelt des Chefs herum und tranken grünen Tee. Es war noch lang hin, bis ich nach den Iklan fragen würde. Ahmed philosophierte über das „freie Leben“, das die Tuareg von Tillamedess führen, „mit unserem Lager, unserem Land und unseren Kühen.“
Er räumte ein, dass die Tuareg gegenüber den anderen ethnischen Gruppen in Mali „in Rückstand“ geraten seien, und dass sie sich „mit der Zeit“ ändern müssten. Er sprach mit der Ambivalenz, die Afrikaner gerne an den Tag legen, wenn sie mit einem Weißen sprechen. Er wusste, dass Weiße, wenn sie Afrikaner sehen, immer deren Situation verändern, verbessern wollen. Aber was sollte er sagen? Seine Leute wollten das freie Leben nicht aufgeben.
Es lagen noch andere junge Tuareg-Männer mit uns im Zelt herum. Nun waren sie dran, mir Fragen zu stellen. Sie hatten die große Welt zu Besuch. Was selten genug vorkam. Das wollten sie ausnutzen.
Sie fragten mich, wo Deutschland liege. Im nahen Osten? In Europa? Wirklich? Und England, liegt das auch in Europa? Welche Sprache spricht man in Deutschland, Französisch? Ob es stimmte, dass es viele Autos in Deutschland gebe, und ob ich wirklich glaube, dass die Amerikaner auf dem Mond gelandet sind?
Sie stellten mir alle diese Fragen ohne jede Scham. Sie waren kokett gemeint. Ihnen erschien ihre Ahnungslosigkeit charmant. Was brauchten sie die Geographie und die Nachrichten aus der Richtigen Welt? Da standen sie drüber. Sie führten doch das freie Leben. Da gehörten solche Sachen nicht dazu.
Danach gingen wir zu Aguissas Bruder Tilhouad. Wieder kamen unaufgefordert zwei junge Männer mit uns und ließen sich umständlich in Tilhouads Zelt nieder. Nachdem wir sie losgeworden waren, gesellte sich Abdullatif zu uns. Ich sagte ihm, zuerst würden wir mit Tilhouad sprechen und dann mit ihm. Ich legte mein Notizbuch zur Seite, unterbrach das Interview und hoffte, er merkt, dass er stört. Vergebens. Nach ein paar Minuten peinlichen Schweigens fasste sich der Übersetzer ein Herz und bat ihn, in seinem Zelt auf uns zu warten. In einer halben Stunde wären wir bei ihm, sagten wir.
Diesmal konnte Tilhouad etwas freier sprechen, aber er blieb mürrisch und einsilbig. Sein Motto war: „Wenn ich für jemanden arbeite, muss er mir etwas dafür geben.“ Das sagte er dreimal in dem Interview.
Seine beiden Frauen und die zwei Töchter im Teenageralter machten den Haushalt für Abdullatifs Familie, wuschen, kochten und holten Wasser für sie, und sein ältester Sohn ging während des Tages mit deren Tieren und Tilhouads eigenen zehn Schafen auf die Weide.
In der Regenzeit arbeiteten seine Kinder auf Abdullatifs Reisfeldern, und Abdullatif teilte dafür die Milch und die Reisernte mit ihm. Warum schickte Tilhouad seine Kinder nicht lieber in die Schule? „Das ist nicht unsere Tradition“, sagte er mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Das ist doch für überhaupt nichts gut.“
Tilhouad schien zufrieden mit seinem Leben. Ich habe nicht gedacht, dass dieser kantig und unbeholfen wirkende Mann überhaupt eine Wahl hatte, sein Leben zu gestalten.
Er hat sich jedoch völlig bewusst für das „freie Leben“
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