Afrika Quer (German Edition)
strömen.
Und vor ein paar Wochen erst hat er für einen Belgier gearbeitet, der in der Nähe von Timbuktu nach Gold suchte. „Wir haben sechs Meter tiefe Löcher gegraben, und das war nicht das erste Loch, das ich in meinem Leben gegraben habe“, erzählte er stolz. „Der Weiße“ – er nannte später den Vornamen – „hat die anderen Arbeiter gerufen, ihnen mein Loch gezeigt und gesagt: ,Hier schaut einmal her. So macht man das!’ Und er hat gleich meinen Lohn erhöht.“
Inzwischen waren Aguissas Kinder von der Schule nach Hause gekommen. Aguissa hat ein zweites Mal geheiratet. Von seiner ersten Frau aus Tillamedess hat er sich schon vor mehr als zwanzig Jahren getrennt. Seine zweite Frau ist Songhai und leitet einen Kindergarten in Timbuktu.
Aguissa musste deshalb nicht mehr ständig arbeiten. Hatte er gerade keinen Job, kümmerte er sich nur um seinen Gemüsegarten am Rande der Stadt. Aber seine beiden ältesten Söhne gingen aufs Gymnasium.
Das war der einzige Punkt, in dem er sich den Tuareg von Tillamedess überlegen fühlte. „Ja, meine Kinder werden einmal gut im Staatsdienst verdienen“, sagte er und freute sich.
Sein ältester Sohn war neunzehn Jahre alt. Erst vor kurzem war er mit seiner Fußballmannschaft in Frankreich. Mir kam er gleich vor wie einer der Schüler, wie sie - die Mädchen in langen, engen Röcken und knappen T-Shirts, die Jungen in Jeans - jeden Morgen in kleinen Grüppchen vor dem Gymnasium in Timbuktu herumstanden. Er erschien mir selbstbewusst, mit Fußball, Mädchen und französischen Popgruppen im Kopf. Und Aguissas jüngster Sohn sagte, als Aguissa einmal kurz weg war: „Mein Vater hat eine Zeit lang in der Sahara nach Öl gesucht. Cool, was?“
Aguissas Kinder wussten nichts von seinem ersten Leben. Er hat sie nie mit nach Tillamedess I genommen, nur einmal zu einer seiner Schwestern nach Tillamedess II. Er hat ihnen nicht einmal erzählt, dass er vor ihrer Mutter schon einmal mit einer anderen Frau verheiratet war. Seine Kinder kannten einen anderen Aguissa als ich.
Am nächsten Morgen fuhren Aguissa und ich wieder zusammen nach Tillamedess, aber diesmal nahm ich noch einen Tuareg-Übersetzer mit. Zur Verstärkung – damit Aguissa sich diesmal nicht hinter seinem schlechten Französisch verstecken konnte - und weil ich Schwierigkeiten befürchtete, wenn ich in Tillamedess anfing, nach den Iklan zu fragen.
Ich konnte die Furcht nicht aus dem Kopf verscheuchen, dass wir mit Schimpf und Schande aus dem Lager weggejagt wurden. Deshalb war es wichtig, die kontroversen Fragen erst spät am Nachmittag zu stellen.
Nach unserem ersten Besuch waren wir in der Mittagshitze zurück nach Toya gelaufen. Und trotz einer vollen Feldflasche und dem starken Wind hatte ich mich lange in dem Dörfchen ausruhen müssen, bevor wir wieder aufbrechen konnten.
Aber zuerst schauten wir uns in Toya die Grundschule an, von der uns der traditionelle Tuareg-Chef bei unserem ersten Besuch erzählt hatte. Sie sah aus wie ein aufgeblasenes Trafo-Häuschen, ein flacher Bau aus nacktem Beton mit drei Klassenzimmern.
Wir fragten einen Lehrer, in welchem davon die Tuareg-Kinder lernten. Er führte uns in das Zimmer der 1. Klasse und wies auf einen leeren Platz in der vordersten Reihe. „Hier sitzt eigentlich, oder besser gesagt, saß bis vor drei Monaten ein Tuareg-Kind“, sagte er. „Ich habe gehört, dass der Junge krank geworden ist. Seitdem ist er nicht mehr gekommen.“
Und wo waren die Kinder aus Tillamedess?
Der Lehrer machte ein erstauntes Gesicht und sagte: „Wie kommen Sie darauf, dass sie hier sind? Die kommen doch nicht zu uns.“
Als wir wieder in Tillamedess im Zelt des Chefs saßen, liefen seine drei Söhne um das Zelt herum. Die zwei älteren, 11 und 13 Jahre alt, rauchten Tabak in einer langen Metallpfeife oder bereiteten den aus China importierten grünen Tee zu.
Warum sind sie nicht in der Schule?, fragte ich Aliasid Ag Ahmed. Er vertrat Tillamedess I im Gemeinderat von Toya. Er war Mitte dreißig und hatte einen großen Schnurrbart. Er trug keinen Turban, aber eine sehr saubere Dschellabia und hätte dem Aussehen nach ein Marokkaner sein können.
Ahmed antwortete diesmal auf meine Fragen. Er sprach gut Französisch, der Chef nicht. Er sagte: „Also im nächsten Jahr werden sie in die Schule gehen. Wahrscheinlich.“
Und noch in einem anderen Punkt war der Chef bei unserem ersten Besuch nicht ganz ehrlich. Abdullatif gab später sorglos zu, er selbst habe sieben
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