Afrika Quer (German Edition)
sie nicht ein einziges Mal die Beine strecken oder auf die Toilette gehen.
Aber auch die anderen Passagiere akzeptierten die gefälschten Waren aus China völlig umstandslos. Und die Schmuggler wurden während der Fahrt immer dreister. Sie waren in der Minderzahl, aber sie kommandierten uns Passagiere herum und stellten uns die leeren Kartons zwischen die Beine. Sie gaben uns Anweisungen, wie wir uns im Fall einer Kontrolle zu verhalten haben. Und wenn sie selbst eine befürchteten, klemmten sie ein Kabel an der Decke ab und knipsten so das Licht aus.
200 Meter vor dem Bahnhof in Awasch standen dreißig ihrer Helfer an den Gleisen Spalier und leuchteten mit einer Taschenlampe ihr Gesicht an, damit die Schmuggler ihrem Kontaktmann ihre Zigaretten zuwerfen konnten.
Bevor die Zöllner am Bahnhof in den Zug kamen, waren schon ein paar Gestalten mit zehn Lagen gebrauchter Kleider am Leib aus dem Zug geflohen, dick wie Tonnen, um nach der Kontrolle wieder hereinzuschlüpfen.
Meine Sitznachbarin, eine Bahnangestellte aus Dire Dawa, beschwerte sich mir gegenüber – „Na, also jetzt übertreiben sie wirklich!“ –, aber zu den Schmugglern war sie immer freundlich.
In Afrika ist die traditionelle Solidarität in einer bäuerlichen Mangelgesellschaft nahtlos in eine Solidarität von Leuten in Staaten im Endzustand übergegangen. „Sich durchwursteln“ ist ein feststehender Begriff in vielen Ländern und das Leben dazu die Grunderfahrung fast jeden Afrikaners. Jeder wurstelt sich irgendwie durch - mit legitimen oder illegitimen, legalen oder illegalen Mitteln. Deshalb ist es ein Tabu, anderen Leuten nicht zu helfen, die doch nur tun, was alle tun: so gut überleben wie möglich.
Drastisch vor Augen geführt wurde mir das bei einer Reise nach Tansania, als ich mich einmal selbst durchwursteln musste. Auf meinem Busfahrschein musste ein späteres Reisedatum stehen und auf meiner Hotelquittung auch. Der Fahrkartenverkäufer schien richtig froh, als ich ihn bat, das spätere Datum zu notieren. Natürlich geht das, sagte er. Er fragte nicht warum, lachte fröhlich und wurde richtig gesprächig.
Und die Frau an der Hotelrezeption machte eine noch größere Verwandlung durch. Vorher hatte ich mindestens zwei Mal fragen müssen, wenn ich Toilettenpapier oder ein Handtuch haben wollte. Und ich musste damit rechnen, dass sie mich anblaffte, bevor ich etwas bekam. Aber als ich sie nun um eine gefälschte Quittung bat, wurde sie mit einem Mal hilfreich und herzlich. Erst jetzt begann ich für sie zu existieren. Sie legte zärtlich ihre Hand auf meinen Arm, kam mehrere Male auf mein Zimmer und kümmerte sich wirklich darum, dass die Hotelbesitzerin die Quittung unterschrieb. Und das Beste von allem: Wie der Fahrkartenverkäufer lehnte sie ein Trinkgeld vehement ab.
Die Botschaft war klar. Auch ich musste mich einmal durchwursteln. Ich hatte ein Problem, das Weiße sonst nie haben, das die beiden aber nur zu gut kannten. Unsere Welten, die sich sonst nie trafen, hatten sich für kurze Zeit einmal gedeckt. Ganz kurz war ich einmal gar nicht mehr richtig weiß.
Hinter Awasch hat mir eine Schmugglerin zwei leere Kanister zwischen die Beine gestellt. Deshalb habe ich in der Nacht so gut wie nicht geschlafen. Als die Sonne jedoch aufging, versöhnte mich der Blick aus dem Zugfenster wieder mit der Welt. Wir waren im Hochland angekommen.
Ab 1.500 Metern über dem Meerspiegel wird Afrika erträglich. Es ist nicht mehr so heiß, und die Natur erscheint fast europäisch gezähmt und fruchtbar. Nun hatte ich mehr als 2.000 Kilometer Kargheit und Dürre hinter mir gelassen. Nun sog ich im weißlich-farblosen Schimmer der Morgendämmerung die Szenen einer bäuerlichen Idylle auf.
Ich sah einzelne Frühaufsteher, dünne Striche, die auf Trampelpfaden in der Landschaft verschwanden; gelbe, abgeerntete Stoppelfelder mit zu Bündeln gestapelten Halmen; Bauern, die ihre Kühe im Kreis über ihr Getreide trieben, um es zu dreschen, und Vater und Mutter mit einem kleinen Kind, das tanzte und vor Freude in die Hände klatschte, als es den Zug sah.
Danach ging das Land ohne erkennbare Grenze in die Stadt über. Zuerst häuften sich die Gärten mit Zuckerrohr. Dann kam eine Fabrik für Schuhe, dann Siedlungen mit Hütten aus verrostetem Wellblech und dann wieder eine hochmoderne Fabrik für Schuhe; daneben Handwerksbetriebe, dahinter ein Holzverkäufer und ein Stück weiter ein Bauhof. Dazwischen liefen Esel herum und Hirten, die ihre Schafe am
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