Afrika Quer (German Edition)
Rande der Teerstraßen weiden ließen, fuhren Autos und Busse.
Die Stadt erschien ohne jede Struktur, ohne jede Planung. Gewerbe neben Wohnen, Hochhäuser neben Bauernhöfen, alt neben neu, arm neben reich, dreckig neben sauber, ein Dorf als Stadt oder eine Stadt aus Dörfern: Addis Abeba.
Desta Pension (Addis Abeba)
Es hat eine Weile gedauert, bis ich herausgefunden habe, was es mit der Desta Pension in Addis Abeba auf sich hat. Die Gäste waren fast ausschließlich junge Paare, und aus den Nebenzimmern waren auffällig oft Stöhnen und rhythmisch quietschende Betten zu hören.
Obwohl in allen Nachttischen Kondome lagen, war ich sicher, dass es kein Stundenhotel sein konnte. Das ganze Haus war sehr sauber, und die Gäste sahen auch nicht danach aus. Einige der Paare kamen ins Fernsehzimmer, und einer der jungen Männer stellte mir sogar seine Freundin vor.
Die Desta Pension liegt sehr zentral, drei Minuten vom Nationaltheater entfernt. Die Zimmer sind günstig und das Essen sehr gut. Und Herr Tadesse, der Wirt, übersetzte für mich die staatlichen Fernsehnachrichten und half mir überhaupt, mich im minenreichen Terrain der äthiopischen Politik zurechtzufinden. Jedes Mal, wenn ich in Addis Abeba war, wohnte ich bei ihm.
So wurde er ein Freund. Als ich zum dritten Mal bei ihm logierte, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und fragte ihn, welche Gäste er denn so habe.
Er sagte: „Die meisten sind junge Paare, die nicht heiraten können. Sie können es sich nicht leisten, ein gemeinsames Haus zu kaufen oder zu bauen. Und wenn doch, dann nur ganz draußen, so dass der Weg zur Arbeit unbezahlbar wird.“
Einzelne Wohnungen gibt es in Addis Abeba nur sehr wenige. Und dass die jungen Leute im Elternhaus ungestört sein könnten, ist im prüden Äthiopien ausgeschlossen.
Von außen deutet außer dem in himmelblauer Farbe auf die Mauer gepinselten Schriftzug „Desta Pension“ nichts auf das hin, was einen im Innern erwartet. Das Haus ist so flach und unscheinbar wie alle in dem Wohnviertel mit seinen holprigen Wegen und den mit Gerümpel vollgestellten Höfen.
Aber in den sieben Zimmern der Desta Pension mit den leicht schiefen Wänden haben die jungen Paare ein lauschiges Refugium gefunden. Auf den Betten liegen dunkelrote Satin-Steppdecken, auf den Tischen stehen Papierblumen und an den Wänden hängen jene weichgezeichneten Poster, die ich mit deutschen Mädchenzimmern in der Phase zwischen den Pferden und der Pubertät verbinde.
Ob man daraus auf die sexuellen Vorlieben der jungen Leute in Äthiopien schließen kann oder nur auf Herrn Tadesses Geschmack, weiß ich allerdings nicht. Mir ist nur aufgefallen, dass die Paare in den drei Jahren, in denen ich in der Desta Pension zu Gast war, immer jünger wurden. Und dass sie unheimlich lange redeten, bevor sie... Nun ja, Sie wissen schon. Auch Herr Tadesse bestätigte, die Paare beschwerten sich, die von ihm vorgegebenen zwei Stunden seien viel zu kurz.
Natürlich hat Herr Tadesse in einer so konservativen, vom orthodoxen Christentum geprägten Gesellschaft wie der äthiopischen schon oft Schwierigkeiten bekommen mit aufgebrachten Eltern. Aber mit dem ihm eigenen Zynismus verteidigte er sich: „Geschäft und Skrupel gehen nicht zusammen.“
Der 64-jährige verhehlte auch nicht, dass er im nächsten Jahr in ein neugebautes Haus am Stadtrand ziehen wird. Ursprünglich hatte er die Pension in seinem Elternhaus eigentlich nur eröffnet, weil seine Rente allein nicht zum Überleben reichte.
Die zentrale Lage, die billigen Zimmer und das gute Essen haben die Desta Pension auch noch für eine andere Klientel attraktiv gemacht. Nachdem sie in einen englischsprachigen Reiseführer aufgenommen wurde, hatte Herr Tadesse das Haus voll mit jungen Touristen aus aller Welt. Aber dann kam der Krieg gegen Eritrea, die Touristen blieben aus, und Herr Tadesse vermietete wieder ausschließlich an junge Paare.
Am Anfang hat Herr Tadesse den Krieg noch mit Euphorie begrüßt. Doch nach einer Weile siegte wieder sein Geschäftssinn. Die Eritreer aus Äthiopien zu deportieren, war eine dumme Idee, sagte er dann. Nun sei keiner da, der ihre Geschäfte weiterführen konnte.
Andere gute Kunden wurden an die Front geschickt. „Ich sehe sie nicht mehr. Ich habe mich schon gefragt, ob sie vielleicht tot sind.“ Mit einem Wort: Der Krieg hatte Herrn Tadesses Geschäft geschadet, und das ließ ihn am Ende zum überzeugten Kriegsgegner werden. Auch um das herauszufinden, habe ich eine
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