Afrika Quer (German Edition)
Weile gebraucht. Aber das ist wieder eine andere Geschichte...
Stomach Zero (Lido Hotel – Nationaltheater)
Jeden Morgen auf dem Weg vom Lido Hotel in die Stadt nehme ich die Parade der Bettler ab. Herr Tadesse hat ein Radio gekauft und in der Desta Pension Lautsprecher in jedem Zimmer installiert. Sogar nachts dröhnt dort nun laute Musik durch alle Zimmer, die sich nicht abschalten lässt. Ich musste umziehen. Ich ging ins Lido Hotel. Das war ruhig und nicht weit entfernt.
Bis zur Kreuzung am Nationaltheater sind es von meinem neuen Hotel fünfhundert Meter den Berg hinunter. Im Mercato, dem Geschäftsviertel von Addis Abeba, gibt es noch viel mehr Bettler, aber unmittelbar neben dem Tor des Hotels sitzt meistens schon der erste.
Der alte Mann ist gegen die morgendliche Kälte ganz in einen weißen Umhang gehüllt. Wie die meisten Bettler sitzt er auf einem Stein auf dem Gehsteig, trotzdem stützt er sich auch noch auf einen Stock. Wenn er mich sieht, geht ein Ruck durch seinen Körper. Zackig hebt er den Kopf in die Höhe, streckt mir seine von der Lepra angenagte Hand entgegen und fängt an, irgendetwas von Jesus und Maria zu brabbeln.
Als nächstes ignoriere ich eine alte, in sich zusammengesunkene Frau. Auch sie fleht mich an, sobald sie mich sieht.
Dann lasse ich das erste Zelt links liegen, das auf der Verkehrsinsel an einen großen Stein gelehnt ist.
Jetzt muss ich mich schon auf die Schuhputzer an der ersten Kreuzung konzentrieren. Sie sind keine Bettler, aber genauso aufdringlich. „Mistrrr, Mistrrr, heute Schuhe putzen?“, fragt jedes Mal einer, obwohl ich bisher nicht ein einziges Mal ihre Dienstleistung in Anspruch genommen habe. Jetzt ein Lächeln aufsetzen und beim Vorbeigehen freundlich, heute nicht, Leute! sagen.
Die nächsten fünfzig Meter bis zum Kultur-Ministerium, auf der anderen Straßenseite, sind meistens ruhig. Dann kommt das nächste Zelt auf der Verkehrsinsel. Es gehört drei jungen Männern.
An einem Nachmittag habe ich mit ihnen gesprochen. Der älteste ist neunzehn. Alle drei haben wegen ihrer bösen Stiefmutter ihre Dörfer verlassen. Der Übersetzer sagte, das komme in Äthiopien häufig vor.
Ihr Zelt ist einen Meter hoch. Über ein Gestell aus Ästen sind mit einer Schnur mehrere Stücke Plastikplane gebunden. Im Innern riecht es streng. An der Wand hängt ein aus einem Drahtbügel gebogenes Kreuz, das Bild einer britischen Popgruppe und eine aus einer Zeitung ausgeschnittene Anzeige für eine Versicherung.
Die Stadtverwaltung hat den drei Jungen erlaubt, hier zu leben. Dafür müssen sie den Müll auf dem Rasen der Verkehrsinsel wegräumen. Nur vor den großen Feiertagen werden sie von der Polizei eingesammelt und in ein Lager außerhalb der Stadt gebracht. Wenn die Ferien vorbei sind, werden sie wieder freigelassen.
Sie betteln nicht am Morgen. Manchmal sehe ich sie dann ein Feuer aus dem eingesammelten Abfall machen. Erst wenn ich am Abend zurückkomme, sitzen sie auf der Höhe ihres Zeltes auf dem Gehsteig in eine Decke gehüllt und strecken die Hand aus.
Am Tag sitzt an diesem Platz der zweite Leprakranke. Er trägt eine Schiffermütze, ein schwarzes abgetragenes Jackett, graue Hosen und das in Äthiopien obligate weiße Leinentuch um die Schultern. Seine Nase ist schon geschrumpft. Die ersten paar Male zappelte er mit seinen in schwarz-weiß gestreiften Sportstrümpfen steckenden Beinstümpfen wie ein auf den Rücken gefallener Käfer - damit ich auch wirklich bemerke, dass seine ganzen Füße fehlen und er nur auf festgeschnallten Plastiksohlen läuft.
Jetzt, da ich ihn interviewt habe und ihm ein bisschen Geld dafür gegeben habe, zieht er immer die Schiffermütze vom Kopf, verbeugt sich tief und nörgelt jeden Tag ein bisschen mehr, dass ich ihm nur einen Gruß schenke.
Einmal sah ich ihn unten auf den Stadtbus warten. Er fährt jeden Morgen von seiner Leprastation in die Stadt, hat er in dem Interview gesagt, weil dort die Versorgung auch nicht mehr das ist, was sie einmal war.
Dann muss ich mich schon auf das halbe Dutzend zerlumpter, kleiner Jungen, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, an der nächsten Querstraße konzentrieren. Sie wollen auch Schuhe putzen, haben alle eine Metallschachtel in der Hand und hämmern mit ihren Bürsten drauf, um für sich zu werben. Ich muss darauf achten, dass der jüngste und aufdringlichste nicht neben mir herläuft und mich zutextet. Den Schritt zu beschleunigen, hilft bei ihm gar nichts. Manchmal muss ich stehen
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