Afrika Quer (German Edition)
bleiben, ihm fest in die Augen schauen und sagen, Chef, ich habe noch nie meine Schuhe bei dir putzen lassen. Ich werde es auch heute nicht tun - bis er von mir ablässt.
Denn schon gleich gegenüber der Nationalbank, einem der Postkartenmotive der Stadt, fängt die schwierigste Passage an. Hier drängen sich die agileren Bettler und die Stomach-zero-Frauen mit ihren Kindern.
Jeden Morgen sitzt hier außerdem eine blinde Frau, die vor sich hinmurmelt. Jemand muss sie morgens abliefern und abends abholen. Sie ist wirklich blind. Wenn ich vorbeigehe, reagiert sie überhaupt nicht. Wenn ich Münzen in der Tasche habe, gebe ich sie ihr. Sie erfüllt meine Vorstellung von einer Bettlerin. Für die Gabe scheint sie dankbar, und sie kann nicht Amok laufen und mehr verlangen, weil sie nicht sieht, dass ich weiß bin.
In Nairobi hatte ich ein Schlüsselerlebnis am Busbahnhof in der Innenstadt. Ein Mann sah mich, sprang von dem Pfosten auf, auf dem er gesessen hatte, und zeigte triumphierend auf seinen Beinstumpf. Ich gab ihm eine Münze. Er beschwerte sich. Er brauchte das doppelte, erklärte er mir allen Ernstes, das sei das mindeste.
Und ein Kollege von mir hat in Nairobi einen Bettler und seinen Lebenstraum porträtiert. Der wollte ein eigenes Geschäft eröffnen. Die Leser in Deutschland und der Schweiz waren so gerührt, dass sie mehrere tausend Euro spendeten. Die haben das Leben des Bettlers völlig durcheinandergewirbelt. Er konnte seine Frau verlassen und eine jüngere heiraten. Innerhalb kürzester Zeit verlor er alles. Und seine Ex-Frau kam noch Monate später in das Büro meines Kollegen, um nach Geld zu fragen.
Als nächstes kommen die agileren Bettler. Es sind nicht immer dieselben. Aber alle treten, wenn sie mich sehen, einen Schritt in die Mitte des Gehsteiges und strecken die Hand weit von sich, damit ich mich nicht so einfach vorbei mogeln kann.
Gleichzeitig muss ich mit einem Auge schon nach den Stomach-zero-Kindern Ausschau zu halten. So nenne ich sie für mich, weil ihre Mütter sich immer an den Bauch fassen und „Stomach zero, Mistrrr“ rufen. Das ist eine direkte Übersetzung aus dem Amharischen. Das Wort für null ist darin dasselbe wie das für leer. Dabei schmatzen sie mit dem Mund, dass es schwer zu ertragen ist.
Das Schmatzen ist im ländlichen Äthiopien ein Zeichen des Bedauerns. Sie kommen aus dem Norden und tragen die traditionelle Frisur. Auf dem vorderen Teil des Kopfes sind ihre Haare geflochten, auf dem hinteren kraus. Ich habe mit einer von ihnen gesprochen. Nach Addis Abeba ist sie gekommen, nachdem ihr Mann gestorben ist. Sie besaß kein Land.
Wenn man die Stomach-zero-Frauen in der Stadt trifft, sind sie sehr schwer abzuschütteln. Als ich einmal vor dem Ambassador-Kino wartete, haben mehrere von ihnen eine Viertelstunde mit ausgestreckter Hand neben mir ausgeharrt.
Aber diejenigen auf meiner Paradestrecke lassen ihre Kinder arbeiten. Sie sind vier, fünf Jahre alt und kleine Kletten, die sich an meine Seite hängen und unter flehenden Ausrufen neben mir her rennen. Fliehen nützt gar nichts. Sie bleiben dran. Zur Not bis zur Kreuzung, fast fünfzig Meter.
Nach einer Weile habe ich eine Technik entwickelt, um sie zu irritieren. Ich trete hinter sie. Wenn sie wieder an meine Seite wollen, rutsche ich nach. Und auf jedes Zucken, um wieder an meine Seite zu kommen, reagiere ich mit einem Schritt in diese Richtung. Am Anfang lachen sie, weil sie denken, ich wolle mit ihnen spielen. Aber bald bleiben sie mit einem fragenden Blick in die Richtung ihrer Mutter stehen. Sie abhalten, es jeden Morgen aufs Neue zu versuchen, kann diese Technik jedoch auch nicht.
Dann nach der ersten Querstraße der Doppelkreuzung sehe ich meistens Zero mitten auf dem Gehsteig in der Morgensonne liegen. Zero ist eine schöne, beige Husky-Mischlingshündin. Als ich sie das erste Mal sah, sprang sie ein paar Minuten winselnd an mir hoch. Ich dachte, vielleicht hat sie der weiße Mitarbeiter einer Hilfsorganisation hier ausgesetzt, oder vielleicht füttert sie so jemand manchmal aus Mitleid. Denn dass Hunde in Afrika Schwarz und Weiß unterscheiden können, steht für mich fest.
Ein kanadischer Kollege von mir lebte in Nairobi auf einem Grundstück mit mehreren Häusern und mehreren Wachhunden. Wir hatten die Hunde gar nicht bemerkt, als wir zu einem Essen bei ihm eingeladen waren. Aber als ein Kenianer kam, stürzten sie sich mit wildem Gebell auf ihn. „Tut mir leid, dass ich vergessen habe, dich zu
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