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Afrika Quer (German Edition)

Afrika Quer (German Edition)

Titel: Afrika Quer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Boehm
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aufzunehmen.
    „Die Idee nach Harar zurückzukehren verfolgte ihn“, schreibt Isabelle, die einzige Zeugin dieser Zeit. „Aber nachdem es jeden Tag offensichtlicher wurde, dass eine solche lange Reise für ihn unmöglich war, entschied er sich nach Marseille zu fahren. Schließlich, sagte er, „gebe es dort Sonne, und es wäre warm.“
    Nun folgt der letzte Akt eines Leben, das seiner Hauptfigur immer ein bisschen zu wenig war. Rimbaud musste wieder einmal weg von hier, und wenn es nur ins Krankenhaus nach Marseille war. Also nahm er die beschwerliche Reise mit dem Zug auf sich und diktierte dort am Tag vor seinem Tod seiner Schwester einen letzten Brief. Er wurde nie abgeschickt. Adressiert ist er an den Direktor einer unbekannten Schiffsgesellschaft in Marseille. Und was Aphinar sein soll, eine Stadt oder der Name einer Schiffahrtslinie, ist so unklar wie unwichtig.
    Der Brief lautet: „Sehr geehrter Herr, ich möchte mich erkundigen, ob noch etwas offen ist zwischen uns. Heute will ich die Buchung auf diesem Schiff ändern, dessen Namen ich nicht einmal kenne - aber es muss auf jeden Fall die Aphinar-Linie sein. All diese Schiffahrtsslinien gibt es ja überall, aber so hilflos und unglücklich wie ich bin, kann ich keine finden. Der erste Hund auf der Straße wird Ihnen das sagen! Schicken Sie mir bitte den Preis von Aphinar nach Suez. Ich bin völlig gelähmt. Deshalb möchte ich rechtzeitig an Bord sein. Lassen Sie mich bitte wissen, wann ich an Deck getragen werden kann.“
    Rimbaud musste wieder hier einmal weg von hier. In Frankreich konnte er nicht bleiben. Aber wo war Aphinar? Dieser vermaledeite Ort oder diese unaufspürbare Linie!
    Nur diese kurze Passage, dieser eine Brief ist für mich ein Meisterwerk der Weltliteratur. Es steckt alles drin: Sehnsucht, Verzweiflung, der unbändige Wille weiterzumachen. Und sie löst die ganze Tragik auf in Rimbauds Leben in ein süßes, unschuldiges Schmunzeln.
    Hier hatte sich Rimbaud nie richtig wohlgefühlt - egal, wo das war. Aber wer so etwas schreiben konnte, musste nirgends sein. Der konnte, egal wo, nicht umsonst gelebt haben.

Unter Schmugglern II (Dire Dawa – Addis Abeba)
    Der Zug von Dire Dawa nach Addis Abeba war ein völlig anderer Zug als der von Dschibuti nach Dire Dawa. Er hatte Fenster, Gepäcknetze und Sitzpolster. Und die Notbremse funktionierte, wie wir feststellten, als eine Frau laut schreiend den Zug zum Halten brachte, weil ihre Tasche geklaut wurde.
    Aber viel entscheidender waren die Passagiere. Der Schaffner war der aus dem ersten Zug. Aber jetzt war er nicht wiederzuerkennen. Er war freundlich und rücksichtsvoll zu jedem. Man hätte ihm nie zugetraut, dass er im ersten Zug noch einen Anfall nach dem anderen hatte. Jetzt schien es aber auch keine Passagiere mehr ohne Fahrkarte zu geben.
    Ich hatte in Dire Dawa eine Grenze überschritten, keine staatliche, sondern eine ethnische Grenze. Das sind in Afrika die entscheidenden.
    Die Passagiere des Zuges waren nun keine Somalis mehr. Wie der Schaffner waren sie Amharas. Bis zum Sieg der Tigreischen Befreiungsfront (TPLF) im äthiopischen Bürgerkrieg 1991, waren die Amharas das äthiopische Staatsvolk. Im Kaiserreich und im darauffolgenden Sozialismus haben sie einen Vorsprung gegenüber den anderen ethnischen Gruppen gewonnen. In den Regionen der Somalis, der Oromos und teilweise auch der Tigreer waren sie die Händler und Beamten und sind das teilweise noch. Deshalb ist Amhara in Äthiopien eigentlich heute noch ein Synonym für Bürger. Und Bürger reisen anders als Beduinen. Und natürlich schmuggeln sie auch anders.
    Im ersten Bahnhof, kurz hinter Dire Dawa, reichte eine Frau zwanzig prallgefüllte Sporttaschen in unseren Waggon. Unmittelbar danach begannen einige Passagiere diese Waren an die anderen Passagiere zu verteilen. Ich nahm drei Radios der Marke „PHILIBS“, drei Packungen Haartöner und eine Stange Zigaretten in meine Obhut. Die Oma auf der Sitzbank mir gegenüber musste sogar ihren Pullover ausziehen und zwei Seidenschals darunter tragen.
    Sie ließ alles geduldig über sich ergehen. Sie war über achtzig und fuhr zusammen mit ihrem Sohn, der noch älter aussah als sie, zur Pilgerfahrt nach Mekka. Einer ihrer Söhne in den USA hatte ihr das Geld für die Reise geschickt.
    Während der gesamten Fahrt regte sie sich nur, um gezuckerte Pfannkuchen zu essen oder ein bisschen Wasser zu trinken. Ansonsten saß sie bewegungslos da. Während der zwanzigstündigen Fahrt sah ich

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