Afrika Quer (German Edition)
sich.
Bei meiner zweiten Reise im Mai 2000 gab es dann schon das Silver Bullett, eine Kneipe mit Wildwestdekoration und einem Garten. Dort war es, als Emrakeb und ich zum ersten Mal feststellen mussten, dass wir über einige Dinge nicht einer Meinung waren.
Äthiopien führte damals schon seit zwei Jahren Krieg gegen die vormals äthiopische Provinz Eritrea. Sie war erst 1993 nach einem 30-jährigen Bürgerkrieg unabhängig geworden. Die äthiopische Regierung stoppte fast alle anderen Projekte und wandte die Ressourcen stattdessen für den Krieg auf. Das Argument dafür war, das Land müsse seine territoriale Integrität verteidigen. In Wahrheit ging es um ein winziges, völlig unfruchtbares, aber umstrittenes Grenzgebiet.
Gleichzeitig war Äthiopien von der damaligen Dürre in Ostafrika besonders stark betroffen. Aus dem Ogaden, in der Somali-Provinz im Südosten des Landes, kamen wieder einmal die altbekannten Bilder von jenen bis auf die Knochen abgemagerten Kindern.
Es war ein Déja Vu. Wie 1984/85, als über eine halbe Million Menschen verhungert waren, gab es in Äthiopien wieder einmal gleichzeitig Hunger und Krieg.
Der äthiopische Außenminister Seyoum Mesfin war darüber nicht glücklich. Er beschwerte sich, der Westen würde immer erst dann helfen, wenn dort zu Skeletten abgemagerte Kinder auf den Fernsehbildschirmen zu sehen seien. Das fand ich merkwürdig. Denn allein das UNO-Welternährungsprogramm hatte im Vorjahr fünf Millionen Menschen in Äthiopien mit Nahrungsmitteln versorgt.
Und das sagte ich Emrakeb und auch das, was ein verärgerter Vertreter der Europäischen Union mir auf Mesfins Vorwurf sagte. Dass Äthiopien nämlich von der EU in den vergangenen vier Jahren Getreide im Wert von 250 Millionen Euro bekommen hat.
Darüber war Emrakeb wiederum nicht glücklich. Sie verlor die Fassung. Das könne gar nicht sein, sagte sie aufgebracht. Äthiopien hatte 1997 eine Rekordernte. Wie könne es dann in diesem Jahr Nahrungsmittelhilfe bezogen haben. Sie werde die Behauptung des EU-Vertreters nachprüfen und dann selbst einen Artikel darüber schreiben. Sie wollte sofort nach Hause gehen. Wir fuhren schweigend mit dem Taxi in die Stadt und verabschiedeten uns kühl.
Inzwischen weiß ich, dass Äthiopien seit dem großen Hunger 1984/85 nicht nur in den Jahren der Knappheit, sondern jedes Jahr Nahrungsmittelhilfe bekommen hat. Und zwar im Vergleich zu den anderen afrikanischen Ländern nicht gerade wenig.
Ich wunderte mich über Emrakebs Reaktion, verstand sie aber nach einem Artikel in der Wochenzeitung „The Reporter“, für die sie damals arbeitete, ein bisschen besser.
Auf einer ganzen Seite ereiferte sich einer der Kolumnisten nicht darüber, dass ein Sack Reis in China umgefallen war, sondern dass die indische Tageszeitung „Hindustan Times“ einen Kommentar über eine arme indische Provinz „Das Äthiopien Indiens“ überschrieben hatte. Im Text hieß es über den Westen Orissas: „Oftmals verglichen mit den schockierenden Bildern aus Äthiopien und Somalia, wo man abgemagerte Kinder mit aufgeblähten Bäuchen sieht...“
Der Kolumnist des „Reporter“ machte noch kurz vor der Forderung nach einer Kriegserklärung gegen Indien halt, schrieb jedoch, dieser Kommentar sei „ein Verstoß gegen die Menschenwürde, eine Versagung der Prinzipien der UNO-Charta, ein Hindernis für friedliche und freundschaftliche Beziehungen zwischen Nationen.“
Alles klar. Ich hatte verstanden, dass Äthiopier nicht gerne auf den Zustand ihres Landes hingewiesen werden.
Und dann, als ich für das Porträt von Emrakeb Artikel aus dem „Reporter“ kopierte, fand ich keinen, den sie nach unserem Streit geschrieben hatte. Aber ich fand einen vom Februar 2000, also von drei Monaten zuvor.
Unter der Überschrift „Die siebte Bitte um Hilfe in drei Jahren“ hieß es: „Was ist der Grund, der Äthiopien so anfällig für Hungersnöte macht, dass es die Gewohnheit der Regierung geworden ist, in einem Abgrund des Bettelns zu versinken. Vor drei Jahren waren fast drei Millionen Äthiopier auf unmittelbare Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Vor zwei Jahren stieg die Zahl auf vier Millionen.“
War ich ein bisschen deppert, oder folgte aus dem Artikel nicht genau das, was Emrakeb mir gegenüber bestritten hat? Dass Äthiopien nämlich auch während seiner Rekordernte 1997 Nahrungsmittelhilfe bekommen hat.
Bei meiner nächsten Reise nach Äthiopien ein paar Monate später kam dann die Diskussion mit
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