Afrika Quer (German Edition)
mit jeder Hand auf das Knie seiner Nachbarin, mit vorwärts gebeugtem Körper, gesenktem, vorausgerecktem Kopf und offenem Maul wie ein geisteskranker Mensch. Er wendet sich zuerst der Frau zu, welche die erste Rolle in Bereitschaft hat und ihm diese ganz in den Mund stopft, der so voll wird, dass Gefahr besteht zu ersticken.
Die ganze Zeit über steht das arme Schlachtopfer vor der Tür und blutet nur wenig. Solange sie noch Fleisch von den Knochen schneiden können, machen sie sich nicht an die Schenkel oder an solche Teile, wo sich große Arterien befinden. Endlich fallen sie aber auch darüber her, und dann blutet sich das Tier bald zu Tode. Das Fleisch wird so zäh, dass die Kannibalen, welche den Rest zu Essen bekommen, es mit großer Mühe wie die Hunde mit den Zähnen von den Knochen herunternagen müssen.“
Zu Meneliks und später zu Haile Selassies Zeiten orientierte sich das abessinische Kaiserreich an Europa. Das Essen vom blutenden und leidenden Tier wäre dort als peinlich empfunden worden. Niemand wollte zuschauen und zuhören, wenn ein Tier geschlachtet wird, geschweige denn dabei essen.
Aber ein solches Festmahl verlangte die äthiopische Tradition. Sollte also bei den Krönungsfeierlichkeiten für Haile Selassie 1930 darauf verzichtet werden?
Bei Evelyn Waugh kann man nachlesen, wie sich der Kaiser aus der Verlegenheit befreite: „Bis vor einigen Jahren gehörte es zur Unterhaltung eines jeden Besuchers in Äthiopien, bei einem Gebbur dabei zu sein. Aber als es soweit war, merkten wir, dass sorgfältige Vorbereitungen getroffen worden waren, alle Europäer von dem Spektakel auszuschließen. Vielleicht weil man glaubte, dass das Fest einen falschen Eindruck von den zivilisatorischen Anstrengungen der Regierung geben würde.“
Nur zwei resolute Damen – keine Journalistinnen – verschafften sich Zugang.
„ Und, was wir für die wenig raffinierte Ausbeutung eines ethnischen Vorteiles hielten, der schwarze Korrespondent einer Gruppe von Negerzeitungen.“
Fete auf Afrikanisch (Addis Abeba – Langonosee und zurück)
Ich wundere mich ja selbst, dass ich mich danach so oft wundere, dass es kommen konnte, wie es gekommen ist. Ich habe mehr als drei Jahre in Afrika gelebt. Ich war in Nairobi und anderswo selten auf einer Fete, auf der nicht Schwarz bediente und Weiß konsumierte. Aber als ich am Langanosee saß und mir langsam klar wurde, worauf ich mich diesmal eingelassen hatte, fühlte ich mich immer unwohler, und ich wunderte mich über meine Naivität.
Es hatte sich angehört wie das reine, unschuldige Vergnügen. Wir wollten am Samstagmorgen zum Langanosee fahren, dort übernachten und am Sonntagnachmittag wieder zurück in Addis Abeba sein. Antonio machte am Langanosee seine Abschiedsparty. Nach zwei Jahren als Mitarbeiter einer italienischen Hilfsorganisation ging er wieder zurück nach Europa. Den Rest konnte man sich selbst ausmalen: Ein bisschen baden im See, ein bisschen faulenzen, ein bisschen trinken, ein bisschen feiern. Eine Fete draußen eben.
Die meisten Leute, die dort sein würden, hatte ich schon in Addis Abeba kennen gelernt. Sie waren Italiener, im Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren alt. Aber Leute wie sie hätte man eigentlich überall in Europa finden können: locker drauf, mit den keltischen Schmucktätowierungen an Armen und Beinen, ein bisschen Kiffen, Independent-Musik hören, ins Ausland gehen, aber keinen ganz festen Job bitte und kein Reihenhaus und kein Urlaub auf Gran Canaria.
Das alles kannte ich. Aber dann machen ja in Afrika viele Europäer eine seltsame Verwandlung durch. Der Versuchung zu widerstehen, dass es an jeder Ecke, in jeder Situation jemanden gibt, der für sehr wenig Geld alles tut, ist sehr schwierig. Und wenige Afrikaner finden etwas dabei, alles zu tun. Sie bitten einen geradezu darum. So kennen sie es aus ihrer Gesellschaft. Die, die mehr haben, helfen denen, geben denen Arbeit, die weniger haben.
Warum sollte man dann nicht dem Druck nachgeben? Dadurch fällt einem vieles leichter. Ja, dadurch wird das Leben in Afrika erst erträglich, bekommt es geradezu erst seine besondere Qualität.
In Afrika hat noch jeder Europäer Dinge getan, die er vorher nicht für möglich gehalten hätte. Und noch jeder hat Prinzipien aufgegeben, die er vorher für unantastbar hielt. Afrika hat noch jeden korrumpiert.
Für etwas mehr als fünfzig Euro im Monat konnte man in Nairobi einen Bediensteten haben, und wenn man ihm auch noch einen Raum zum
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