Afrika Quer (German Edition)
und ein bisschen einfältig, denen man als guter Christ jedoch unbedingt helfen muss und die keinerlei Schuld trifft, selbst wenn sie sich an Überfällen auf ihre eigenen Stammesgenossen beteiligen. So könnte der Band ohne Probleme für eine aktuelle Antisklaverei-Kampagne einer Menschenrechtsorganisation herhalten.
Die Stämme und Landschaften des Sudan sind in der Mahdi-Trilogie ständig präsent. Kara Ben Nemsi fährt auf dem Oberlauf des Weißen Nils, reitet durch die Wüste im Westen und durchquert die Sümpfe im Süden. Aber wenn man Karl Mays Arbeitstechnik kennt, merkt man schnell, dass bei ihm die exotischen Landschaften austauschbar sind.
Denn er schrieb fast automatisch. Hatte er seine Quellen studiert, brach der Stoff förmlich aus ihm heraus. „Ich schreibe nieder, was mir aus der Seele kommt, und ich schreibe es so nieder, wie ich es in mir klingen höre. Ich verändere nie, und ich feile nie. Mein Stil ist also meine Seele“, berichtet er in seiner Autobiographie „Mein Leben und Streben“ - und das wird auch durch unabhängige Quellen bestätigt.
Schon nach kurzer Zeit hatte er wesentliche Teile seiner Erzählungen wieder vergessen, so dass er sich in Fortsetzungsbänden zum Beispiel auf Stellen bezieht, die er im vorangegangenen gar nicht verwirklicht hat. Oder er änderte schon ein paar Manuskriptseiten nach ihrem ersten Erscheinen die Namen seiner Figuren oder schrieb sie völlig anders.
Für Karl May waren die exotischen Landschaften nur Kulisse, vor denen er seine narzisstisch gefärbten Abenteuerhandlungen abrollen ließ. Sie symbolisierten das Fremde, das Andere, eine Welt, die die Leser nicht kannten, aber an sich bedeuteten sie nichts. Genauso gut hätte er seine Reiseerzählungen auf einem anderen Planeten spielen lassen können. Auf den fremden Kontinenten bewegte er sich nur, weil sie damals noch unbekannter waren als heute, und er sie deshalb fast beliebig füllen konnte.
Denn für Karl May war das Schreiben neben dem literarischen Schaffen auch therapeutische Notwendigkeit. So führte er die Spannungen seiner inneren Konflikte ab, und es half ihm, sein Leben mit einer reichlich ausgeprägten Persönlichkeitsstörung zu bewältigen. Ihm ging es nach dem Schreiben seiner Reiseerzählungen besser. Wie konnte es dann seinem Publikum nach dem Lesen nicht ebenso gehen!
Deshalb glaubte er, seine Bücher enthielten die „Lösung der Menschheitsfrage“. Nachdem er in „Und Friede auf Erden“ seinen Nervenzusammenbruch thematisiert und verarbeitet hatte, schrieb er deshalb seinem Verleger, „hundert besondere Exemplare“ davon herstellen zu lassen. „Vielleicht auf besonderes Papier gedruckt, jedenfalls aber ganz besonders eingebunden, die ich nicht nur sämtlichen deutschen Fürsten, sondern auch allen anderen überreichen will, auch sogar dem Sultan, dem Schah und den Kaisern von China und Japan.“
Ein Seltsamer Expatriat war Karl May also nicht nur, weil er schließlich mit der Fremde konfrontiert seltsam wurde, sondern weil er wie der junge Arthur Rimbaud seine eigenen Defekte in die unbekannte Fremde hineinprojizierte.
Und diese Defekte gab es bei Karl Mays hochneurotischem Charakter zuhauf. Der Karl May-Forscher Hans Wollschläger hat bei ihm eine „narzisstische Neurose in modellhafter Ausprägung“ diagnostiziert. Karl May hatte ein schwer gestörtes Verhältnis zu seiner Mutter, und von Narzissmus spricht man, wenn die Liebe eines Kleinkindes keine Erwiderung gefunden hat.
Deshalb empfand Karl May in seinem späteren Leben die Libido-Abgabe an andere grundsätzlich als Ich-Verlust und lenkt seine Liebe auf seine Ich-Ideale – in seinem Fall also auf Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi.
Eine Folge dieser narzisstischen Kränkung in Karl Mays Kindheit dürfte bei ihm auch die Ausbildung einer sogenannten Pseudologia Phantastica gewesen sein. In der psychoanalytischen Literatur wird sie als „der dem anderen als Realität mitgeteilte Tagtraum“ definiert. Und die Schwierigkeit, zwischen Imagination und Realität zu unterscheiden, zieht sich wie ein roter Faden durch Karl Mays Leben.
Schon bei seinen Zusammenstößen mit dem Strafgesetz als junger Mann zeichnete sich der stark pseudologische Zug seines Charakters ab. Seine Straftaten tragen alle den Charakter übermütiger Hochstapeleien, bei denen er sich als Arzt oder Kriminalbeamter ausgab, der Falschgeld konfiszieren muss.
Später als Schriftsteller schuf er sich Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand und ließ
Weitere Kostenlose Bücher