Afrika Quer (German Edition)
Ruhe. Ich habe in den wenigen Monaten schon Stoff für 5 – 6 Bände gesammelt. Täglich kommen neue Anschauungen und neue Gedanken; täglich öffnen sich neue Gesichtspunkte. Lieber Herr, man ahnt gar nicht, was man, wenn man guten Willens ist, von diesen ,sogenannten’ Wilden oder Halbwilden lernen kann!“
Noch hatte der gute alte Kara Ben Nemsi seinen Humor nicht verloren. Tatsächlich lag das erwähnte Bischari-Lager sechs Reitstunden von Schellal entfernt. Von Assuan jedoch, wo Karl May sich aufhielt, nur eine Viertelstunde auf dem Reitesel.
Und natürlich war bald darauf keine Rede mehr von einer anstrengenden Reise in den Sudan - und was weiß ich wohin! Denn Karl May verließ ja die damals schon reichlich ausgetretenen Touristenpfade nicht.
Aber selbst, wenn man sich noch so gut versteckt und noch so viele Luxusmauern um sich herum errichtet, kann man trotzdem nie ganz sicher sein, dass die Realität nicht doch noch in die eigene Sphäre einbricht.
Denn dann in Padang auf Sumatra war auf einmal Schluss mit lustig. Der Tag des Erwachens für Kara Ben Nemsi war gekommen.
Nur in einer Stelle in „Und Friede auf Erden“ klingt an, was der Auslöser für den dort erlittenen Nervenschock gewesen sein konnte: „Dem mit dem Dampfer nach dem Osten kommenden Reisenden treten hier in Penang zum ersten Male chinesische Gestalten, Formen und Gebräuche in der Weise entgegen, dass sein Auge von ihnen gefesselt wird. Er findet das, was er sieht, so überaus fremdartig, seinem gewohnten Fühlen und Denken so fern liegend, dass er sich unwillkürlich fragt, ob es ihm möglich sein werde, unter diesen neuen Eindrücken der Alte zu bleiben. Und er hat ein Recht, einen schwerwiegenden Grund zu dieser Frage, weil allen diesen Erscheinungen eine Lebensfülle, eine strotzende Kraft, eine überzeugende Selbstverständlichkeit innewohnt, durch welche die Ansicht, dass es sich um altersschwache, kranke Zustände handle, schon in den ersten Stunden arg erschüttert wird.“
Nach Karl Mays Tod hat seine zweite Frau alles vernichtet, was in seinen Aufzeichnungen von der Reise auf diesen Nervenzusammenbruch hingedeutet hat. Sie war stets eifrig um sein Ansehen bemüht und hat fleißig an den Legenden um ihn mit gestrickt.
Von ihrer gemeinsamen Amerika-Reise 1908 zum Beispiel sind beide eher nach Deutschland zurückgekehrt als angekündigt, haben aber den Kopf unten gehalten und sich bei niemandem gemeldet, damit es so aussehen musste, als ob Karl May von der Touristenattraktion der Niagara-Fälle noch weiter in den Wilden Westen gereist war.
Und auch auf der Orientreise versuchte sie später, ihren gemeinsamen dreimonatigen Aufenthalt in italienischen Arenzano zu vertuschen.
Bevor die Ehepaare May und Plöhn zum zweiten Teil der Reise aufbrechen konnten, hatten sie in dem Küstenort in Norditalien bleiben müssen, weil Richard Plöhn krank wurde.
Und weil man das wohl von einem Tausendsassa wie Kara Ben Nemsi erwarten durfte, erfand sie dafür nach Karl Mays Tod einen Abstecher von ihm nach Persien. In seinem Tagebuch von der Orientreise hat sie den gesamten Monat Dezember getilgt und fast alle Briefe an seine erste Frau vernichtet. Und vom zweiten Band des Reisetagebuches existiert heute nur noch ihre Teilabschrift.
Aber sie hat dennoch eine lakonisch als „Vielleicht noch nötige Nachtragung zu meinen Ausführungen über K. M.“ betitelte Notiz hinterlassen, aus der deutlich wird, was in jenen Tagen in Padang und Istanbul mit Kara Ben Nemsi alias K. M. passiert ist: „Auch aus Sumatra schrieb K. M. nach Hause, dass er einen Anfall jener schrecklichen, quälenden Beeinflussung durchgemacht habe, die ihn zu seinen unsinnigen Taten zwang. Er habe 8 Tage gegen diesen Anfall kämpfen müssen und sich in dieser Zeit, wie ihm nachträglich klar wurde und wie ihm sein Diener Hassan sagte, wie ein Irrsinniger benommen. Ein Zwang trieb ihn, alle Nahrung in den Abort zu werfen. Er tat es und hungerte, bis endlich der Normalzustand siegte. Hier war er allein, und nur aus seinem Bericht kam uns die Kenntnis. Ein zweiter solcher Fall, den ich miterlebte, trat ein in Konstantinopel. K. M. war mit seinem Freund Schmitz du Moulin, der ihn mit Abdul Hamed bekannt gemacht hatte, auch eines Nachts an einem Ort gewesen, wo zu damaliger Zeit noch im Verborgenen der Mädchenhandel betrieben wurde. Der Ort und die dort verkehrenden Menschen müssen auf K. M. einen derartigen Eindruck gemacht haben, dass er nach dem Besuch in einen derart
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