Afrika Saga 02 - Feuerwind
abzuschießen. Bei einem Jagdausflug in die Drakensberge - er war vierzehn Jahre zu der Zeit — schoss er einen riesigen Lämmergeier, dessen Flügelspannweite fast das Doppelte seiner Körperlänge maß.
Wochenlang studierte er danach den komplizierten Aufbau der Schwingen, die großen und kleinen Armdecken, die Handschwingen und Schirmfedern und die zarten, wie Finger gespreizten Federn an den Flügelenden, die sich im Flug nach oben bogen, die so schwach und instabil wirkten, aber doch offensichtlich von größter Wichtigkeit für die Steuerung waren.
Fasziniert untersuchte er die vielen Lagen unterschiedlich großer Federn, deren Funktionen so präzise ineinander griffen wie die Zahnräder einer Uhr. Ihm wurde bald klar, dass er dieses Wunder der Natur nie so nachbauen konnte.
Mühsam, da Mathematik nicht seine Stärke war und er sich eher die Zunge abgeschnitten hätte, als seinen Vater um Hilfe zu bitten, versuchte er die Tragkraft der Schwingen im Verhältnis zum Gewicht des Vogelkörpers zu kalkulieren. Schließlich hatte er einen Wert berechnet, der ihm auch nach Augenschein und Handgewicht richtig erschien, und den legte er seiner Konstruktion zugrunde. Er machte sich ans Werk, verarbeitete alles, was leicht war. Federn, Stoff, Papier und dünnste Bambusstöcke. Endlich entschied er, dass seine Flügel ihn nach seiner Berechnung tragen müssten. Aus Antilopeniederstreifen bastelte er Schlaufen, brachte sie unter den Flügeldecken an und probierte sogleich, ob er seine Arme bequem hindurch stecken konnte. Zu seinem Stolz saßen sie perfekt.
Der große Tag kam, er stand auf der steilen, verwitterten Felswand, die im nördlichen Teil Inqabas lag. Zu seinem Erstaunen und Verdruss mussten die Zulus sein Vorhaben gerochen haben - vermutlich hatte Shikashika nicht dichthalten können -, denn, in sicherer Entfernung auf der anderen Seite des Flusses, der am Fuß der Felsformation entlang floss, hatten sich die Mitglieder mehrerer Umuzis versammelt.
Lautstark diskutierten sie, ob dem jungen Umlungu hinterher wohl eigene Flügel wachsen und er statt eines Mundes dann einen Schnabel hätte, aber trotz intensiven Studiums der Knochen, die sie wieder und wieder warfen, konnte keiner der anwesenden Sangomas diese Frage beantworten. Die meisten waren der Ansicht, dass er geradewegs ins Reich seiner Ahnen fliegen würde, hofften nur, dass diese ihn in seiner seltsamen Verkleidung auch erkennen würden. So war die Spannung unter den aufgeregten Zuschauern greifbar.
Mit einem kurzen Gebet auf den Lippen stieg er in den Sitz, war froh, dass er seine Eltern wohlweislich nicht informiert hatte, steckte seine Arme in die Schlaufen unter den Flügeln, holte tief Luft und stieß sich ab. In der letzten Sekunde nahm er am Rande seines Gesichtsfelds wahr, dass sein Vater zu Pferd herangaloppierte, aber da war es schon zu spät. Der Wind pfiff, es rauschte gewaltig, und wenige Augenblicke später landete er krachend in der Krone des alten Tambotibaums unterhalb der Felswand. Seine Arme wurden ihm von dem jähen Windwiderstand fast aus den Kugeln gerissen, er machte einen Salto nach hinten und fiel hinunter wie ein Stein auf die harte Erde.
Die Flügel waren gebrochen, seine Arme auch. Der Aufschrei seines Vaters und das brüllende Gelächter der Zulus schmerzte noch heute in seinen Ohren. Sein Stolz und seine Knochen brauchten lange, um zu heilen, und die Standpauke, die ihm sein Vater hielt, konnte er heute noch fast wörtlich zitieren. Immer noch erinnerte ihn eine gewisse Wetterfühligkeit in seinen längst verheilten Knochen an dieses Abenteuer.
Doch letztlich, auf seinen langen Ritten durch den Busch, hatte er im Kopf eine neue Konstruktion erdacht und beabsichtigte, sie in Kürze in die Tat umzusetzen. Irgendwann, das hatte er sich geschworen, würde er dieses Gefühl auskosten, dort oben in der klaren afrikanischen Luft über Inqaba zu fliegen, losgelöst von aller Erdenschwere, über sich den unendlichen Himmel, unter ihm die grünen Hügel von Inqaba, das glitzernde Band des Krokodilflusses, das wogende, gelbe Gräsermeer und in der Ferne das Blau des Indischen Ozeans.
20
Vor ihm lag der mannshohe Stein, der die Auffahrt zum Haus markierte, die letzte Meile hatte er sich schon auf Inqaba befunden.
Unter den weit ausladenden, mit leuchtend gelben Blüten übersäten Kiaatbäumen ritt er, jeden Zoll genießend, hinauf zum seinem Haus.
Das Rieddach war noch nicht nachgedunkelt, weizengelb leuchtete es durch die
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