Afrika Saga 02 - Feuerwind
sich sanft nach innen, das Licht des frühen Tages schimmerte hell durch das feine Gewebe, das Haus aber lag noch in tiefer Stille. Leise schlüpfte sie aus dem Bett, zog die Gardinen zurück und öffnete die Fensterflügel. Die Strahlen der aufgehenden Sonne vergoldeten schon die Baumspitzen, und sie schätzte, dass es etwa halb sechs sein müsste. Zu ihrem Erstaunen zeigte ihre Uhr jedoch erst kurz vor Vier.
Eigentlich eine Zeit, in der in Zululand tiefste Dunkelheit herrschte und sie noch fest schlief. Aber wie konnte sie das, wenn draußen das Licht funkelte und die Vögel jubilierten? Sie setzte sich an den Schreibtisch, tauchte ihre Feder ins Tintenfass und zog den angefangenen Brief zu sich heran.
»Ich habe etwas so Schönes, so Reines noch nie gehört«, schrieb sie. »Die Vögel hier singen mit göttlichen Stimmen, gar nicht wie unsere, die meist krächzen oder krähen oder so laut schreien, dass man sich die Ohren zuhalten möchte. Denkt nur an die Hadidahs! Und auch das Licht ist anders, nicht so weiß und gleißend, es ist weicher und schluckt nicht alle Farben, sondern legt über alles einen zarten Goldton, und nachts ist es hell. Es herrscht nicht die tintige Schwärze der afrikanischen Nacht. Eine sehr eigenartige Erfahrung, aber schön.«
9
Es wurde ein langer Brief, und sie schickte ihn gleich am selben Tag ab. Das Postschiff hatte eine störungsfreie Passage, weder Stürme noch andere Widrigkeiten hielten es auf, und just an Catherines sechsundvierzigstem Geburtstag legte es im Hafen von Durban an, und schon Stunden später hielt sie den Brief in Händen.
Sie weilte mit Johann bei den Dillons. Johann wollte die Landwirtschaftsausstellung besuchen, und Mila hatte die Gelegenheit genutzt und ihr eine Geburtstagsfeier ausgerichtet, weil es einfacher für die Steinachs war, zwei Wochen nach Durban zu kommen, als alle ihre Freunde nach Inqaba zu verfrachten. Der Brief wurde viel diskutiert. Alle ihre Freunde stammten aus Europa, wenn auch aus verschiedenen Ecken, und waren begierig zu erfahren, wie einer jungen Frau, die in Afrika geboren und aufgewachsen war, der alte Kontinent erscheinen mochte. Man schwelgte in sentimentalen Erinnerungen, erwähnte bunte Sommerwiesen und blühende Veilchen, schwärmte von Theaterbesuchen, Konzerten und modischen Läden, und Cilla träumte laut von kalter, klarer Winterluft und schneebedeckten Bergen.
Wir sind da, vorsichtig, da ist eine steile Stufe«, rief Johann und nahm ihren Arm.
Catherine fuhr zusammen, strauchelte kurz, konnte sich aber gerade noch fangen. Zu ihrer Verwirrung fand sie sich vor dem London Restaurant wieder, über ihrem Kopf wippten magentafarbene Bougainvilleas, Hitze strahlte ihr vom gepflasterten Weg und den Mauern des Gebäudes entgegen, und über dem Dachfirst turnte eine Affenschar. Sie befand sich unzweifelhaft in Afrika. Verlegen wischte sie sich über die Augen. »Entschuldige, ich war gedanklich bei Maria und ihrem ersten Brief, den sie nach ihrer Ankunft in Hamburg geschrieben hat. Wie sehr wünschte ich, Deutschland heute durch ihre unvoreingenommenen Augen sehen zu können.«
Ein vierschrötiger Mann zog seinen riesigen, federgeschmückten Schlapphut vor ihnen und verbeugte sich tief. »Mrs Steinach, Johann, einen wunderschönen Tag wünsche ich Ihnen.« Damit stampfte er in einer Wolke von kaltem Tabakrauch und Knoblauchdünsten an ihnen vorbei. Catherine wedelte diskret mit der Hand vor ihrer Nase, vermied es, zu atmen, bis er sich entfernt hatte. »Wir sollten Wegweiser zum öffentlichen Badehaus an jeder Straßenecke anbringen«, murmelte sie anzüglich.
Johann hielt ihr die Tür zum Restaurant auf. Drinnen war es deutlich kühler als draußen, das grelle Licht durch dünne Gardinen gedämpft. Die meisten Tische waren besetzt, meist mit uniformierten Offizieren. Ihre roten Waffenröcke sorgten für Farbkleckse, Knöpfe blitzten, Kokarden schimmerten, Stiefelleder glänzte. Es roch nach Bier und Essen, und der Geräuschpegel war ohrenbetäubend.
An einem Tisch waren die Stühle leer, der Tisch allerdings war es nicht. Auf der blank gescheuerten Platte hatte es sich Mathilda, die zahme Python des Wirts, die jeder in der Kolonie kannte, bequem gemacht. Sie hatte ihren oberschenkeldicken, gut vierzehn Fuß messenden Körper ordentlich aufgerollt, die glänzenden Schlingen hingen links und rechts über die Tischkante. Drei deutliche Beulen in ihrem Leib zeugten von einer kürzlich eingenommenen, üppigen Mahlzeit. Neben dem
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