Afrika Saga 02 - Feuerwind
ihm keuchte ein hagerer Mann mit wild abstehenden Haaren und einer Damentasche unter dem Arm aus der hallenden Tiefe des Gebäudes heran.
Maria, die schon den Vorplatz des schönen, alten Backsteinbaus der Hochschule erreicht hatte, blieb stehen. »Ich will meine Tasche wiederhaben.« Sie warf mit einer schwungvollen Bewegung ihren dicken Haarzopf nach hinten und überlegte, wie sie sich aus dieser höchst unangenehmen Situation befreien konnte.
Der brüllende Mann auf der Treppe war dick und kurzatmig, sie dagegen Jahre jünger und sehr schnell auf den Beinen. Dummerweise war dieser hagere Mensch überraschend aus einem Raum gestürzt, hatte ihr den Weg abgeschnitten und nach einem Handgemenge die Tasche abgejagt. Sie nahm ihn näher in Augenschein. Er befand sich im fortgeschrittenen Stadium der äußerlichen Auflösung. Der Hemdkragen hatte sich gelöst, das Hemd war aus der Hose gerutscht, die Brille hing schief auf der prominenten Nase, die schütteren, farblosen Haare standen in wüster Unordnung vom Kopf ab.
Ihre Tasche mit beiden Händen fest umklammernd, erreichte dieser schwer atmend Professor Brosse. »Es ist ein Fräulein, ein Weib, Herr Kollege Brosse, kein Bursch, wie wir dachten! Seht, sie hat einen Zopf! Gerade noch habe ich sie erwischt, ehe sie das Zimmer des Prinzipals stürmen konnte. Ich habe sie nach ihrem Begehren gefragt, und wissen Sie, was diese … diese …« Er rang nach Worten.
»Dieses Fräulein, Kollege Schley …«, half Professor Brosse.
»Fräulein, richtig. Nun dieses Fräulein hat mir gesagt, dass sie zu studieren wünsche. Man stelle sich das nur vor! Studieren will dieses Weib! Medizin! Wohl auch noch promovieren!« Vorübergehend fehlte ihm die Kraft, weiter zu reden, und er stopfte mit fahrigen Bewegungen sein Hemd wieder in die Hose. »Womöglich aber ist das alles nur ein Vorwand, und sie plant ein Attentat, trägt einen Dolch in ihrem Gewand.« Er starrte Maria misstrauisch an. »Ein weiblicher Dämon, sozusagen.«
»Ach, Unsinn, Attentate werden von Männern verübt, nicht von Frauen. Es fehlen ihnen die geistigen Qualitäten, ein solches zu planen. Es beweist ja schon den minderen Verstand dieses Fräuleins, dass es ein Studium aspiriert«, polterte Professor Brosse. »Das allein wäre schon schlimm genug, doch ihre Kleidung … dieser sittenverderbende Aufzug! Schauen Sie doch hin, Kollege Schley, … was sollen unsere Studenten denken … welches Bild bekommen sie von der Weiblichkeit.«
Professor Schley von der Historischen Fakultät schob seine Linsenbrille zurück auf die Nase und schaute genau hin. »Haben Sie das gesehen, lieber Kollege, was dieses Frauenzimmer unter ihrer Jacke trägt? Nicht einen Rock, wie es sich ziemt, sondern etwas, das fatal einer Hose ähnelt.« Er flüsterte das letzte Wort.
»Na, das ist es doch, lieber Schley. Deswegen haben wir ja geglaubt, einen Burschen vor uns zu haben. Sie trägt eine Hose und ein Herrenjackett und auf dem Kopf eine Studentenmütze! Das ist Amtsanmaßung! Ich bin sicher, wir können auch versuchte Erschleichung von Vorteilen durch unberechtigtes Tragen einer Art Uniform geltend machen, ganz abgesehen von Hausfriedensbruch …«
Er zählte diese Positionen an den Fingern ab.
Professor Schley hob den Zeigefinger. »Angriff auf eine Person der geistigen Elite …«
Professor Brosse runzelte die hochgezwirbelten Brauen. »Wer sollte das gewesen sein?«
»Na, ich natürlich! Sie hat mich aus dem Weg gestoßen. Vermutlich bin ich schon grün und blau angelaufen …«
»Ah«, machte sein Kollege. »Nun, wie dem auch sei, Sie leben ja noch, lieber Freund.«
»Glücklicherweise, glücklicherweise, und vermutlich nur knapp! Ich hätte stürzen können, mich schwer verletzen … und stellen Sie sich vor, nicht einmal ein Korsett trägt dieses Weibsbild, was an sich schon einen Skandal bedeutet. Ich habe es genau gespürt, als ich gegen sie stieß. Alles wogt. Diese Unverschämtheit … Wozu ist unsere Welt nur verkommen!« Er streckte den Kopf vor und musterte Maria noch einmal aufs Genaueste. »Sagen Sie, Kollege Brosse, kommt Ihnen das Frauenzimmer nicht auch bekannt vor? Denken Sie zurück an die Soiree letzten Sonnabend!« Triumphierend musterte er seinen Kollegen. »Na? Na? Ich könnte schwören, dass sie diese merkwürdige Nichte unseres Gönners Berthold Mellinghoff ist. Sie soll Afrikanerin sein, was ich allerdings nicht glauben kann, wenn ich sie so betrachte.
Sie ist ganz ohne Zweifel eine Weiße.
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