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Afterdark

Afterdark

Titel: Afterdark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Bergen gebaut, aber später mussten sie davon die Spielschulden meines jüngeren Bruders bezahlen. Sogar irgendwelche Verwandte, die ich kaum kannte, haben sich was unter den Nagel gerissen, und die komischen Investitionen, die sie mir bei der Bank empfohlen hatten, gingen den Bach runter ... Und dann kamen auch keine Leute mehr. Damals hab ich alles verloren, was ich in über zehn Jahren rangeschafft hatte. Ich war knapp dreißig, körperlich ein Wrack und hatte null Ersparnisse. Als ich noch überlegte, was ich machen sollte, fragte mich meine jetzige Chefin - sie gehörte zu meinem Fanclub -, ob ich nicht Geschäftsführerin in einem Love Hotel werden wollte. Das nennt sich zwar Geschäftsführerin, aber eigentlich bin ich eher die Rausschmeißerin. Du hast's ja gesehen.«
    Kaoru trinkt ihr Bier aus und schaut auf die Uhr.
    »Musst du zur Arbeit?«, fragt Mari.
    »Um diese Zeit ist in einem Love Hotel am wenigsten los. Die Bahnen fahren nicht mehr, deswegen bleiben die Gäste, die jetzt da sind, fast alle die ganze Nacht. Bis morgen früh rührt sich nichts. Offiziell bin ich im Dienst, aber ich kann ruhig mal ein Bier trinken gehen.«
    »Und morgens gehst du dann nach Hause?«
    »Ich habe ein Apartment in Yoyogi, aber was soll ich da? Niemand wartet auf mich, deshalb schlafe ich öfter mal im Ruheraum des Hotels. Dann bin ich, wenn ich aufstehe, schon an Ort und Stelle. Was hast du jetzt vor?«
    »Mir irgendwo mit Lesen die Zeit vertreiben.«
    »Wenn du willst, kannst du bei uns warten. Wir sind heute nicht voll. Du könntest bis morgen früh in einem leeren Zimmer bleiben. Es ist zwar vielleicht ziemlich einsam, allein in einem Love Hotel zu übernachten, aber zum Schlafen reicht's. Die Betten sind nicht schlecht.«
    Mari nickt ein bisschen, aber sie hat sich entschieden. »Danke. Aber ich glaube, ich komme allein zurecht.«
    »In Ordnung«, sagt Kaoru.
    »Takahashi hat seine Probe hier in der Nähe, oder? Mit seiner Band.«
    »Ja, die dröhnen im Keller des Gebäudes gleich da drüben bis in die Morgenstunden rum. Willst du mal bei ihnen reinschauen? Ist aber ätzend laut.«
    »Nein, ich hab nur so gefragt.«
    »Er ist ziemlich in Ordnung. Vielversprechend. Sein Äußeres ist zwar irgendwie daneben, aber im Kern ist er ein selten ehrlicher Typ. Gar nicht so übel.«
    »Wie hast du ihn denn kennen gelernt, Kaoru?«
    Kaoru presst die Lippen zusammen und verzieht sie zu einem Lächeln. »Das war eine ziemlich lustige Geschichte, aber die lässt du dir lieber mal von ihm erzählen. Er kann das besser als ich.«
    Kaoru bezahlt die Rechnung.
    »Machen sie sich hei dir zu Hause keine Sorgen, wenn du die ganze Nacht nicht heimkommst?«
    »Sie denken, ich übernachte bei einer Freundin. Meine Eltern kümmern sich nicht so sehr um mich, egal, was ich tue.«
    »Weil du ein zuverlässiges Mädchen bist, denken sie sicher, du kommst zurecht, und lassen dich in Ruhe.« Mari sagt nichts dazu.
    »Aber in Wirklichkeit ist das nicht immer so, stimmt's?« Mari zieht heftig die Brauen zusammen. »Wieso denkst du das?«
    »Das hat mit Denken oder Nicht-Denken nichts zu tun, es ist einfach unvermeidlich, wenn man neunzehn ist. Ich war auch mal neunzehn und kenne mich aus.«
    Mari sieht Kaoru ins Gesicht. Sie will etwas sagen, weiß aber nicht wie und lässt es lieber.
    »Hier in der Nähe gibt es ein >Sky Lark<. Ich bringe dich hin«, sagt Kaoru. »Ich bin mit der Chefin befreundet und bitte sie, dich bis morgen früh bleiben zu lassen. In Ordnung?«
    Mari nickt. Die Platte endet, die Nadel wird automatisch angehoben, der Tonarm gleitet zurück auf den Halter. Der Bartender geht zum Plattenspieler und nimmt die Platte ab. Bedächtig schiebt er sie in ihre Hülle zurück. Er zieht eine neue Platte hervor, inspiziert sie unter der Lampe und legt sie auf. Als er den Knopf drückt, senkt sich die Nadel auf die Schallplatte. Nach einem leisen Kratzen ertönt Sophisticated Lady von Duke Ellington. Ein gemächliches Bassklarinettensolo von Harry Carney. Die geruhsamen Bewegungen des Bartenders verleihen der Zeit in dem Lokal eine ganz eigene Fließgeschwindigkeit.
    »Haben Sie nur Schallplatten?«, fragt Kaoru ihn.
    »Ich mag CDs nicht«, antwortet er.
    »Wieso nicht?«
    »Sie sind zu glänzend und glatt.«
    »Sind Sie eine Krähe?«, gibt Kaoru spöttisch zurück.
    »Aber eine LP macht doch viel mehr Mühe, beim Auflegen und so«, sagt Mari.
    Der Bartender lacht. »Es ist mitten in der Nacht. Bis morgen früh gibt es sowieso keine Bahn.

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