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Afterdark

Afterdark

Titel: Afterdark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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auf den Bildschirm. »Ich schaue mir die DVD von der Kamera im Eingang an«, sagt sie. »Wenn ich die ungefähre Zeitspanne überprüfe, finde ich doch bestimmt den Typ raus, der die Kleine zusammengeschlagen hat.«
    »Um die Zeit sind ziemlich viele Gäste gekommen oder gegangen. Wie willst du da rauskriegen, wer es war?«, sagt Kamille.
    Ungeschickt haut Kaoru mit ihren kräftigen Fingern in die Tasten. »Alle anderen Gäste sind als Paare gekommen. Nur dieser Mann war vor der Frau da und hat dann im Zimmer auf sie gewartet. Um 22 Uhr 52 hat er sich den Schlüssel zu 404 genommen. Das steht fest. Sasakisan an der Rezeption sagt, die Frau sei ungefähr zehn Minuten später mit dem Motorrad abgeliefert worden.«
    »Dann kannst du doch das Bild von 22 Uhr 52 rausziehen«, sagt Kamille.
    »So ganz problemlos ist das nicht«, sagt Kaoru. »Wisst ihr, ich komme mit diesem digitalen Kram einfach nicht zurecht.«
    »Kräftige Arme helfen da nicht, was?«, sagt Kamille. »Du sagst es.«
    Du bist zur falschen Zeit geboren, Kaoru«, sagt Grille mit ernstem Gesicht.
    »Ungefähr 2000 Jahre zu spät«, sagt Kamille.
    »Könnte man sagen«, pflichtet Grille ihr bei.
    »Ich verzichte auf solche simplen Erklärungen«, sagt Kaoru.
    »Ihr habt ja wohl selbst keine Ahnung, oder?«
    »Nein«, ertönt es im Chor.
    Kaoru tippt die Uhrzeit in das Suchfeld auf dem Bildschirm ein, klickt und versucht ein Bild dazu zu bekommen, aber es will nicht klappen. Irgendwo muss sie etwas in der falschen Reihenfolge eingegeben haben. Sie schnalzt mit der Zunge. Sie holt das Handbuch hervor und liest darin herum, ohne zum Punkt zu gelangen. Dann gibt sie auf und wirft das Handbuch auf den Schreibtisch.
    »Verdammt, wieso geht das nicht? Es müsste jetzt kommen, tut's aber nicht. Takahashi bekäme das in einem Rutsch hin.«
    »Aber was willst du eigentlich unternehmen, Kaoru, wenn du sein Gesicht kennst? Du willst ihn doch nicht bei der Polizei melden?«, sagt Kamille.
    »Ich bilde mir nichts drauf ein, aber mit der Polizei will ich möglichst nichts zu tun haben.«
    »Was also dann?«
    »Darüber kann ich mir später noch den Kopf zerbrechen«, sagt Kaoru. »Jedenfalls geht es mir gegen den Strich, so einen Scheißkerl zu decken und einfach wegzusehen. Die Schwäche einer Frau auszunutzen und sie zu verprügeln, ihr dann alles, was sie hat, wegzunehmen und noch die Hotelzeche zu prellen! Männlicher Abschaum.«
    »Diesen perversen Psycho müsste man zu Brei hauen«, sagt Grille. Kaoru nickt heftig. »Ich wünsche mir, dass dieser Typ noch mal vorbeikommt, aber so blöd ist der nicht. Bestimmt lässt er sich eine Weile nicht blicken. Aber mir fehlt auch die Zeit, überall herumzurennen und zu suchen.«
    »Also, was willst du machen?«
    »Hab ich doch schon gesagt - darüber denke ich später nach.«
    Schon halb verzweifelt klickt Kaoru mit Wucht ein Icon an, und einen Moment später taucht auf dem Monitor das Bild von 22:48 auf.
    »Geschafft!«
    Kamille: »Super. Du hast es hingekriegt.«
    Grille: »Der Computer hat sicher auch Schiss vor dir.«
    Stumm und atemlos starren die drei auf den Bildschirm. Um 22:50 trifft ein junges Paar ein. Wahrscheinlich Studenten. Beide wirken aufgeregt. Nachdem sie vor der Tafel mit den Zimmerfotos eine Weile überlegt haben, drücken sie den Knopf von Zimmer 302, nehmen den Schlüssel und suchen den Fahrstuhl. Zuerst wissen sie nicht, wo er ist, und irren ein bisschen herum.
    Kaoru: »Das sind die Gäste von 302.«
    Kamille: »Aha, 302. Die sehen harmlos aus, aber bei denen war's ganz schön heftig. Ich durfte die Schweinerei dann wegputzen.«
    Grille: »Lass doch. Die sind noch jung, da dürfen sie das. Dafür bezahlen sie ja und kommen hierher.«
    Kamille: »Na und, ich bin auch noch jung, aber ich hab schon lange nichts Schmutziges mehr gemacht.«
    Grille: »Weißt du, Kamille, das ist alles nur eine Frage des Wollens.«
    Kamille: »Des Wollens?«
    Kaoru: »He, gleich kommt der von 404. Hört auf mit dem Quatsch und schaut hin.«
    Auf dem Bildschirm taucht ein Mann auf Es ist 22:52.
    Der Mann im hellgrauen Trenchcoat ist etwa Mitte dreißig, vielleicht auch knapp vierzig. Er trägt eine Krawatte, Lederschuhe und eine Brille mit schmalem Goldrand, ein typischer Büroangestellter. Er trägt nichts bei sich und hat die Hände in den Taschen. Größe, Statur, Haarschnitt - alles sehr durchschnittlich. Ein Typ, der keinen Eindruck hinterlässt, wenn man ihm auf der Straße begegnet.
    »Der sieht aus wie ein ganz

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