Afterdark
Idee.
»Hat eine von euch, nachdem ich draußen war, das Telefon hier im Büro benutzt?«, fragt sie die beiden anderen. Sie schütteln die Köpfe.
Kamille: »Nein.«
Grille: »Ich auch nicht.«
Kaoru: »Also hat niemand mehr gewählt, nachdem das chinesische Mädchen telefoniert hat?«
Kamille: »Ich habe das Telefon nicht angefasst.«
Grille: »Nicht mal mit dem kleinen Finger.«
Kaoru nimmt das Telefon, holt tief Luft, und drückt auf Wahlwiederholung.
Nach zweimaligem Klingeln hebt ein Mann ab. Er sagt etwas in schnellem Chinesisch.
»Hier ist Hotel >Alphaville<«, sagt Kaoru. »Gestern Abend gegen elf ist doch eins eurer Mädchen zu uns bestellt und dann verprügelt worden. Ich habe jetzt ein Foto von dem Gast. Von unserer Überwachungskamera. Ist das für euch vielleicht von Interesse?«
Der Mann am anderen Ende schweigt ein paar Sekunden. »Warten Sie einen Moment«, sagt er dann auf Japanisch.
»Ich warte«, sagt Kaoru. »Für immer.«
Auf der anderen Seite der Leitung wird offenbar diskutiert. Das Telefon am Ohr, zwirbelt Kaoru zwischen den Fingern einen Kugelschreiber. Unterdessen benutzt Kamille den Besenstiel als Mikrophon und trällert ein Lied, das ihr gerade einfällt. »Schnee fällt ... aber du kommst nicht. Ich warte auf dich ... für immer ...
Der Mann kommt wieder an den Apparat. »Habt ihr das Foto jetzt zur Hand?«
»Frisch aus dem Drucker«, sagt Kaoru. »Woher habt ihr diese Nummer?«
»Neuerdings haben die Geräte ja jede Menge praktische Funktionen«, sagt Kaoru.
Der Mann schweigt wieder einige Sekunden. »Ich bin in zehn Minuten da.«
»Ich warte draußen.«
Er legt auf. Kaoru schaut mit gerunzelter Stirn auf das Telefon. Sie dreht wieder ihren harten, kräftigen Hals. Stille senkt sich über den Raum. Kamille spricht als Erste. »Du, Kaoru?«, sagt sie schüchtern.
»Was?«
»Willst du denen das Bild wirklich geben?«
»Ich hab's euch doch schon gesagt, ich kann nicht zulassen, dass so ein Typ einfach eine unschuldige Frau verprügelt. Und dass er die Zeche geprellt hat, stinkt mir auch. Außerdem passt mir die Visage von diesem Bürohengst nicht.«
Kamille: »Aber wenn die den Mann finden, versenken sie ihn vielleicht mit einem großen Stein in der Bucht von Tokyo oder so. Und wir kriegen Schwierigkeiten, wenn wir in so was verwickelt werden.«
Kaoru runzelt noch immer die Stirn. »So weit, ihn umzubringen, werden sie nicht gehen. Wenn die Chinesen sich massenhaft gegenseitig abmurksen, dann kümmert sich die Polizei nicht groß darum. Wenn sie aber einen echten Japaner beseitigen, ist das was anderes. Das könnte lästig werden. Sie schnappen ihn sich, das ist sein Karma, im schlimmsten Fall schneiden sie ihm ein Ohr ab.«
Kamille: »Autsch, das tut sicher weh.«
Grille: »Irgendwie wie Van Gogh, oder?«
Kamille: »Aber Kaoru, meinst du, dass man nur mit so einem Foto jemanden finden kann? Die Stadt ist doch so groß.«
Kaoru: »Ach, wenn die sich etwas vorgenommen haben, schaffen sie es auch. In der Hinsicht haben sie Charakter. Wer sich von einem Anfänger wie dem Bürotyp verarschen lässt, verliert vor den Frauen, die für ihn anschaffen, das Gesicht und kann einpacken.« Kaoru nimmt eine Zigarette vom Schreibtisch, steckt sie in den Mund und zündet sie mit einem Streichholz an. Sie spitzt die Lippen und bläst den Rauch langsam gegen den Monitor. Auf das vergrößerte Gesicht des Mannes.
Zehn Minuten später. Kaoru und Kamille warten in der Nähe des Hoteleingangs. Kaoru trägt dieselbe Lederjacke wie vorhin und hat ihre Wollmütze tief ins Gesicht gezogen. Kamille hat einen weiten, dicken Pullover an. Wahrscheinlich ist ihr kalt, denn sie hat die Arme eng um sich geschlungen. Kurz darauf trifft der Mann auf dem großen Motorrad ein, der schon die Chinesin abgeholt hat. Ein Stück von den beiden entfernt, bleibt er mit laufendem Motor stehen. Er nimmt den Helm ab, legt ihn auf den Tank und zieht langsam den rechten Handschuh aus. Er steckt ihn in die Tasche. Mehr nicht. Offenbar hat er nicht die Absicht, sich von sich aus zu bewegen. Kaoru geht mit großen Schritten auf ihn zu und reicht ihm drei von den ausgedruckten Bildern.
»Wahrscheinlich ist er ein Angestellter aus einem der umliegenden Büros«, sagt sie. »Er arbeitet häufig nachts und hat sich wohl schon öfter mal Frauen bestellt. Vielleicht ein Stammkunde von euch?«
Der Mann nimmt die Fotos und betrachtet sie ein paar Sekunden lang. Er wirkt nicht sonderlich interessiert. »Und?«, sagt er
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