Afterdark
Kaffee.
Takahashi schaut auf die Uhr. »Drei Uhr morgens. Jetzt ist es am dunkelsten und einsamsten. Wie sieht's aus? Bist du gar nicht müde?«
»Nicht besonders«, sagt Mari.
»Ich habe gestern Nacht kaum geschlafen. Ich musste eine ätzende Hausarbeit fertig machen.«
Mari sagt nichts.
»Ich hab von Kaoru gehört, dass du wahrscheinlich hier bist.« Mari nickt.
»Entschuldige wegen vorhin«, sagt Takahashi. »Wegen der Sache mit der Chinesin. Kaoru hatte mich während der Probe auf dem Handy angerufen und gefragt, ob jemand von uns Chinesisch kann. Erst hab ich gesagt, das kann doch keiner, aber dann bist du mir plötzlich eingefallen. Also habe ich ihr gesagt, sie soll zu >Denny's< gehen, da sitzt ein Mädchen namens Mari Asai, das soundso aussieht und fließend Chinesisch spricht. Hoffentlich bist du nicht sauer.«
Mari kratzt mit der Fingerspitze an der Innenseite ihrer Brille. »War schon in Ordnung.«
»Kaoru sagt, du hast ihr unheimlich geholfen. Sie hat sich bedankt. Außerdem scheinst du ihr ziemlich sympathisch zu sein.«
Mari wechselt das Thema. »Ist deine Probe schon zu Ende?«
»Wir machen gerade Pause«, sagt Takahashi. »Ich wollte einen heißen Kaffee trinken und wach werden. Außerdem wollte ich mich auf alle Fälle bei dir bedanken. Ich hatte Angst, dass ich dich vielleicht belästigt habe.«
»Belästigt? Wieso?«
»Keine Ahnung«, sagt er. »Jedenfalls habe ich mich gefragt, ob ich irgendwas Lästiges gemacht habe und ... «
»Hast du Spaß daran, Musik zu machen?«, fragt Mari. »Klar. Kommt gleich nach dem Fliegen.«
»Bist du schon mal geflogen?«
Takahashi lächelt. Auch dabei nimmt er sich Zeit. »Nein, noch nicht«, sagt er. »Das war nur ein Beispiel. Letzten Endes.«
»Möchtest du Berufsmusiker werden?«
Er schüttelt den Kopf. »Dazu reicht mein Talent nicht. Die Musik macht mir unheimlich Spaß, aber man kann davon nicht leben. Zwischen Einigermaßen-gut-Sein und Wirklich-etwas-Schaffen besteht ein Riesenunterschied. Ich glaube, ich kann einigermaßen gut Posaune spielen. Es gibt sogar Leute, die mich loben. Das freut einen natürlich. Aber das ist alles. Deswegen höre ich diesen Monat ganz mit der Band auf und lasse das mit der Musik.«
»Was meinst du konkret mit >wirklich etwas schaffen«
»Tja also ... Damit Musik wirkliche Tiefe erreicht, muss sie den eigenen Körper physisch bewegen und zugleich auch die Körper der Leute, die sie hören. Einen Zustand der Übereinstimmung erzeugen. Vielleicht.«
»Klingt schwierig.«
»Sehr schwierig«, sagt Takahashi. »Deshalb steige ich aus und an der nächsten Haltestelle um.«
»Wirst du kein Instrument mehr anrühren?«
Takahashi dreht die Handflächen seiner beiden Hände auf dem Tisch nach oben. »Könnte passieren.«
»Suchst du dir eine feste Stelle?«
Er schüttelt noch einmal den Kopf. »Nein.«
»Was willst du machen?«, fragt Mari nach kurzem Zögern. »Ich will ernsthaft Jura studieren. Mein Ziel ist das Staatsexamen.«
Mari schweigt. Doch ihre Neugier ist anscheinend geweckt.
»Aber das wird noch dauern«, sagt er. »Ich bin zwar an einer juristischen Fakultät eingeschrieben, aber bis jetzt habe ich fast meine ganze Zeit in die Band gesteckt und nur so nebenbei studiert. Auch wenn ich mich jetzt ändere und tierisch büffle, hole ich wahrscheinlich nicht so leicht auf. So gnädig läuft's auf dieser Welt nicht, oder?«
Die Kellnerin bringt den Kaffee. Takahashi nimmt Milch, rührt geräuschvoll um und trinkt.
»Ehrlich gesagt, zum ersten Mal in meinem Leben verspüre ich den Drang, ernsthaft zu lernen. Meine Leistungen in der Schule waren nicht schlecht. Nicht gerade überragend gut, aber auch nicht schlecht. Wenn es drauf ankam, habe ich immer gut gepunktet, also bin ich immer über die Runden gekommen. Das ist meine Stärke. Deshalb habe ich mich an einer einigermaßen guten Uni eingeschrieben und mir gedacht, wenn alles gut geht, komme ich danach bei einer einigermaßen guten Firma unter. Dann wollte ich einigermaßen gut heiraten und eine einigermaßen gute Familie haben ... Aber das ist mir zuwider geworden. Plötzlich.«
»Wieso?«, fragt Mari.
»Warum ich auf einmal ernsthaft studieren will?«
»Ja.«
Die Kaffeetasse in beiden Händen, sieht Takahashi ihr mit zusammengekniffenen Augen ins Gesicht, als spähe er durch einen Spalt im Fenster in ein Zimmer. »Fragst du, weil du wirklich die Antwort hören willst?«
»Natürlich frage ich, weil ich die Antwort hören will. Das ist doch
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