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Afterdark

Afterdark

Titel: Afterdark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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isst.«
    »Darauf kommt's bei mir nicht an. Ich bin sowieso zu dünn.« Takahashi nimmt das Thunfischsandwich und beißt mit sichtlichem Appetit hinein.
    »Also willst du bis zum juristischen Staatsexamen studieren?«
    »Ja, schon. Ich jobbe ein bisschen und lebe für den Moment bescheiden.«
    Mari denkt an etwas.
    »Hast du mal Love Story gesehen? Diesen Uralt-Film?«, fragt Takahashi.
    Mari schüttelt den Kopf.
    »Er lief vor kurzem im Fernsehen. Eigentlich ganz schön. Ryan O'Neal spielt den einzigen Sohn einer alten, wohlhabenden Familie, aber als Student heiratet er die Tochter armer italienischer Einwanderer und wird auf einen Schlag enterbt. Auch das Geld für sein Studium wird ihm gestrichen. Doch trotz ihres ärmlichen Lebens studiert er unermüdlich weiter, besteht das Jura-Examen in Harvard mit Auszeichnung und wird Anwalt.«
    An dieser Stelle seufzt Takahashi.
    »Obwohl er so arm ist, sieht Ryan O'Neal irgendwie schick und vornehm aus. Er trägt einen weißen Strickpullover, macht Schneeballschlachten mit Ali McGraw, im Hintergrund spielt ein gefühlvolles Stück von Francis Lai. Aber ich habe das Gefühl, dass das bei mir nicht klappen würde. In meinem Fall wird Armut schlicht Armut bleiben, bis zum Schluss. Es würde nicht mal so schön schneien.«
    Mari denkt noch immer nach.
    »Am Ende seiner Anstrengungen wird Ryan O'Neal Anwalt, aber über seine Arbeit erfährt der Zuschauer so gut wie nichts. Nur, dass er in einer der besten Anwaltskanzleien beschäftigt ist und ein Super-Gehalt bekommt. Sie wohnen in einem erstklassigen Apartment mit Portier in Manhattan, er ist in einem WASP Sportclub und spielt, wenn er Zeit hat, mit seinen Yuppie-Freunden Squash. Das ist alles.«
    Takahashi trinkt aus seinem Wasserglas.
    »Und was passiert dann?«, fragt Mari.
    Takahashi sieht kurz in die Luft und versucht sich an die Handlung zu erinnern.
    »Happy End, glaube ich. Die beiden leben glücklich und gesund bis an ihr Ende. Sieg der Liebe. Früher war es schwer, aber heute ist es Spitze - irgendwie so. Man fährt einen blitzblanken Jaguar, spielt Squash, im Winter macht man ab und zu eine Schneeballschlacht. Auf der anderen Seite sterben die Eltern, die ihn enterbt haben, einsam an Diabetes, Leberzirrhose und Ménière-Syndrom.«
    »Ich weiß ja nicht, aber was soll denn an so einer Geschichte interessant sein?«
    Takahashi legt den Kopf schräg. »Stimmt, was war daran eigentlich interessant? Ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Ich hatte was zu tun und hab den Schluss nicht mehr gesehen... . Hast du Lust, zur Abwechslung einen kleinen Spaziergang zu machen? Nicht weit von hier gibt es einen kleinen Park, in dem sich die Katzen treffen. Wir können ihnen Thunfischsandwich mit Quecksilber mitbringen, und Fischbällchen habe ich auch noch. Magst du Katzen?«
    Mari nickt ein bisschen. Sie packt ihr Buch ein und steht auf. Die beiden gehen durch die Straßen. Sie reden nicht mehr. Takahashi pfeift im Gehen. Eine tiefschwarze Honda fährt mit gedrosselter Geschwindigkeit an ihnen vorbei. Es ist der Chinese, der die Frau im Hotel »Alphaville« abgeholt hat. Der Mann mit dem Pferdeschwanz. Er hat den Helm abgenommen und sondiert aufmerksam die Umgebung. Doch zwischen ihm und den beiden gibt es keinen Berührungspunkt. Das tiefe Brummen des Motors kommt auf sie zu und entfernt sich wieder.
    Mari richtet das Wort an Takahashi. »Woher kennst du Kaoru eigentlich?«
    »Ich hab mal ein halbes Jahr in dem Hotel gejobbt. Im >Alphaville<. Boden aufwischen und alle möglichen anderen Hilfsarbeiten. Und Computerkram. Software austauschen und Fehler beheben. Ich habe sogar die Überwachungskamera installiert. Dort arbeiten ja nur Frauen, also wussten sie meine männliche Unterstützung sehr zu schätzen.«
    »Und wie kam's, dass du ausgerechnet dort angefangen hast?« Takahashi zögert ein bisschen. »Wie es kam?«
    »Dafür gab es doch sicher einen Anlass, oder?«, sagt Mari.
    »Kaoru hat sich nur vage darüber geäußert.«
    »Es ist ein bisschen unangenehm, das zu erklären.« Mari schweigt.
    »Also gut«, sagt Takahashi ergeben. »Ich war mit einem Mädchen in dem Hotel. Als Gast. Aber als wir gehen wollten, habe ich gemerkt, dass ich nicht genug Geld dabeihatte. Das Mädchen auch nicht. Da kann man eben nichts machen. Ich hab dann meinen Studentenausweis hinterlegt.«
    Mari enthält sich jeder Bemerkung.
    »Wirklich, eine peinliche Geschichte«, sagt Takahashi. »Am helllichten Tag habe ich dann den fehlenden Betrag

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