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Afterdark

Afterdark

Titel: Afterdark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Deine Schwester hat dich mitgebracht. Aber du hast kaum den Mund aufgemacht und bist die ganze Zeit im Becken rumgetollt wie ein halbwüchsiger Delphin. Danach sind wir noch in den Teesalon des Hotels gegangen und haben Eis gegessen. Du hast Pfirsich Melba bestellt.«
    Mari runzelt die Stirn. »Wieso weißt du überhaupt noch all diese Kleinigkeiten?«
    »Ich hatte noch nie eine Verabredung mit einem Mädchen, das Pfirsich Melba isst, und außerdem warst du sehr hübsch.«
    Mari sieht ihn an, ohne die Miene zu verziehen. »Du lügst. Bestimmt hast du die ganze Zeit nur meine Schwester angeglotzt.«
    »Tatsächlich?«
    Maris Antwort besteht in einem beredten Schweigen.
    »Kann schon sein«, gibt er zu. »Denn aus irgendeinem Grund erinnere ich mich noch ganz genau, dass sie einen winzigen Bikini anhatte.«
    Mari steckt sich eine Zigarette in den Mund und zündet sie sich mit dem Feuerzeug an.
    »Ich will ja >Denny's< nicht verteidigen, aber findest du nicht, dass es viel schädlicher ist, eine Schachtel Zigaretten zu rauchen, als einen Hühnchensalat zu essen, der möglicherweise belastet ist?«
    Mari ignoriert seine Frage.
    »Damals sollte ein anderes Mädchen mitkommen, aber sie wurde plötzlich krank und ich bin gezwungenermaßen eingesprungen. Damit die Personenzahl stimmte«, sagt sie.
    »Deswegen warst du nicht besonders gut gelaunt.«
    »Ich erinnere mich an dich.«
    »Wirklich?«
    Mari deutet auf ihre rechte Wange.
    Der Mann legt die Hand auf die tiefe Narbe im Gesicht. »Aha, deshalb. Als Kind bin ich mit dem Fahrrad einen Hang runtergerast und konnte nicht bremsen. Zwei Zentimeter weiter, und ich hätte ein Auge verloren. Mein Ohrläppchen ist auch deformiert. Willst du mal sehen?«
    Mari schüttelt mit angeekeltem Gesicht den Kopf.
    Als die Bedienung seinen Hühnchensalat und den Toast bringt, schenkt sie Mari frischen Kaffee ein und vergewissert sich, ob sie alle Bestellungen ausgeführt hat. Er nimmt Messer und Gabel zur Hand und beginnt routiniert seinen Hühnchensalat zu verspeisen. Dann hebt er den Toast hoch, um ihn zu inspizieren. Er runzelt die Brauen.
    »Ich kann so oft sagen wie ich will, dass ich den Toast knusprig möchte, und trotzdem bekomme ich ihn nie so, wie ich ihn bestelle. Ich begreife das nicht. Bei all dem Fleiß von uns Japanern, unserer ganzen Hightech-Zivilisation und der Marketingstrategie, die >Denny's< verfolgt, kann es doch nicht so schwierig sein, eine Scheibe Weißbrot knusprig zu toasten, oder? Wieso schaffen die das nicht? Wo liegt der Wert einer Zivilisation, wenn man nicht einmal einen Toast nach Bestellung rösten kann?«
    Mari nahm ihn nicht sonderlich ernst.
    »Deine Schwester war eine richtige Schönheit«, sagte er wie zu sich selbst.
    Mari hebt das Gesicht. »Wieso sprichst du in der Vergangenheit von ihr?«
    »Aus keinem Grund, bloß weil ich von alten Zeiten spreche. Damit wollte ich nicht sagen, dass sie jetzt keine Schönheit mehr ist oder so.«
    »Sie ist noch immer sehr hübsch.«
    »Ohne Frage. Aber ehrlich gesagt, ich kenne Eri gar nicht besonders gut. Wir waren auf der Oberschule ein Jahr in einer Klasse, aber wir haben kaum miteinander geredet. Oder besser gesagt, sie hat sich nicht herabgelassen, das Wort an mich zu richten.«
    »Aber du hattest Interesse, oder?«
    Mit Messer und Gabel in den Händen hielt der Mann inne. »Man kann es Interesse nennen, aber eigentlich war es intellektuelle Neugier.«
    »Intellektuelle Neugier?«
    »Was es wohl für ein Gefühl wäre, mit einem so schönen Mädchen wie Eri Asai verabredet zu sein. So was in der Art. Weil sie wie ein Model aus einer Zeitschrift aussieht.«
    »Das ist intellektuelle Neugier?«
    »In gewisser Weise.«
    »Aber damals hast du doch nur deinen Freund begleitet, der mit Eri zusammen war.«
    Er nickt mit vollen Backen kauend. Lässt sich Zeit, kaut ohne Hast.
    »Ich bin irgendwie ein zurückhaltender Mensch. Das Rampenlicht steht mir nicht. Ich eigne mich mehr als Beilage. Wie Krautsalat oder Bratkartoffeln. Oder wie der eine von Wham!.«
    »Deshalb haben sie dich zu meinem Date gemacht.«
    »Aber du warst auch sehr hübsch.«
    »Du sprichst gern in der Vergangenheit, was?«
    Der Mann lächelt. »Nee, eigentlich nicht. Ich habe nur aus heutiger Sicht freimütig meine geistige Verfassung von damals geschildert. Du warst sehr hübsch. Wirklich. Obwohl du kaum den Mund aufgekriegt hast.«
    Er legt Messer und Gabel auf dem Teller ab, trinkt aus seinem Wasserglas und wischt sich die Mundwinkel mit der

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