Afterdark
Posaune hat.«
»Trotzdem. Auf dieser Welt gibt es sicher eine Menge Mädchen, die nicht mal wissen, dass so etwas wie ein Instrument namens Posaune existiert. Aber da kann man nichts machen. Keiner ist je vom Posauneblasen zum Star geworden, weder Mick Jagger noch Eric Clapton. Haben Jimi Hendrix oder Pete Townsend vielleicht jemals eine Posaune auf der Bühne demoliert? Sicher nicht. Alle haben lieber Elektrogitarren zertrümmert. Hätten sie eine Posaune genommen, wären sie bloß ausgelacht worden.«
»Wieso hast du dich dann für Posaune entschieden?«
Der Mann goss Sahne in den Kaffee, der ihm gerade serviert worden war, und nahm einen Schluck.
»In der Mittelstufe habe ich in einem Laden für alte Schallplatten zufällig eine Jazzplatte mit dem Titel >Bluesette< gekauft. Eine uralte LP. Warum ich sie gekauft habe, weiß ich nicht mehr. Ich hatte bis dahin auch noch nie Jazz gehört. Jedenfalls gab es auf der A-Seite ein Stück mit dem Titel Five Spot After Dark, das mir unheimlich unter die Haut ging. Der Posaunist war Curtis Fuller. Als ich es zum ersten Mal hörte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Genau, das ist mein Instrument, dachte ich. Ich und die Posaune. Eine schicksalhafte Begegnung.«
Er summt die ersten acht Takte von Five Spot After Dark.
»Das kenne ich«, sagt Mari.
Er macht ein ungläubiges Gesicht. »Du kennst es?« Mari summt die folgenden acht Takte. »Woher denn bloß?«, sagt er.
»Darf ich es nicht kennen?«
Der Mann stellt seine Kaffeetasse ab und schüttelt heftig den Kopf. »Natürlich darfst du ... Aber es ist unglaublich. Dass es heutzutage ein Mädchen gibt, das Five Spot After Dark kennt. ... Egal, jedenfalls faszinierte mich dieser Curtis Fuller so sehr, dass ich anfing, Posaune zu spielen. Ich hab mir von meinen Eltern Geld geliehen, mir ein gebrauchtes Instrument besorgt und bin in die Blasinstrumente-AG in der Schule eingetreten. Seit der Oberstufe spiele ich in so was wie einer Band. Zuerst war es eine Rockband, so ähnlich wie früher >Tower of Power<. Kennst du >Tower of Power«
Mari schüttelt den Kopf.
»Egal. Das war früher. Jetzt machen wir reinen, schlichten Jazz. Die Uni ist nicht großartig, aber unsere Band ist nicht schlecht.«
Die Kellnerin will wieder Wasser nachschenken. Er lehnt ab und wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. »Es wird Zeit. Ich muss mich allmählich aufmachen.«
Mari schweigt. Niemand hält dich auf sagt ihr Gesicht. »Wir kommen sowieso immer alle zu spät«, sagt er. Kein Kommentar von Mari.
»Dann bestell deiner Schwester doch mal einen schönen Gruß von mir.«
»Ruf sie doch selbst mal an. Du hast unsere Nummer, oder? Außerdem kann ich ihr nichts ausrichten, wenn ich deinen Namen nicht weiß.«
Er denkt kurz nach. »Aber wenn ich anrufe und Eri am Apparat ist, worüber soll ich mich denn dann mit ihr unterhalten?«
»Über ein Klassentreffen oder so was. Dir wird schon was Passendes einfallen.«
»Ich bin nicht gut im Reden. Noch nie gewesen.«
»Mit mir hast du jedenfalls eine Menge geredet.«
»Mit dir kann man irgendwie reden.«
»Mit mir kann man irgendwie reden«, wiederholt sie. »Aber mit meiner Schwester kannst du nicht gut reden?«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Wegen zu großer intellektueller Neugier?«
Ein vages Was soll das? erscheint auf seinem Gesicht. Er will etwas sagen, überlegt es sich aber anders und gibt auf Nach einem tiefen Seufzer nimmt er die Rechnung vom Tisch und rechnet im Kopf etwas nach.
»Kannst du, wenn ich dir meinen Anteil gebe, später alles zusammen bezahlen?«
Mari nickt.
Noch einmal mustert er sie und ihr Buch. »Also«, sagt er ein wenig verlegen, »vielleicht findest du mich jetzt aufdringlich, aber ist irgendwas passiert? Hattest du Krach mit deinem Freund oder mit deiner Familie? Weil du so ganz allein bis morgen früh in der Stadt bleiben willst?«
Mari setzt ihre Brille auf und starrt ihm ins Gesicht. Ihr Schweigen ist undurchdringlich und kalt. Der Mann hebt beide Hände. Die Handflächen sind ihr zugewandt, als wolle er sich für seine Zudringlichkeit entschuldigen.
»Gegen fünf komme ich wahrscheinlich noch mal zum Essen her«, sagt er. »Da habe ich auf alle Fälle Hunger. Ich würde mich freuen, dich hier wiederzusehen.«
»Wieso?«
»Ach, nur so.«
»Weil du dir Sorgen machst?«
»Das auch.«
»Weil ich meine Schwester grüßen soll?«
»Vielleicht auch ein bisschen deshalb.«
»Meine Schwester kennt wahrscheinlich nicht mal den Unterschied
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