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Afterdark

Afterdark

Titel: Afterdark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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deutlich Nein sagen und hast deine Ziele stetig und in deinem eigenen Tempo verfolgt. Das konnte Eri nicht. Sie musste immer eine vorgegebene Rolle spielen. Von klein auf war es ihre Aufgabe, die Umgebung zufrieden zu stellen. Um es mit deinen Worten zu sagen, sie war voll und ganz damit beschäftigt, ein wunderschönes Schneewittchen zu werden. Natürlich ist sie von allen sehr verwöhnt worden, aber ich glaube, das war mitunter auch ganz schön anstrengend. In der entscheidendsten Zeit im Leben konnte sie sich nicht richtig durchsetzen. Wenn dir >Komplex< zu stark ist, könnte man auch sagen, sie beneidet dich.«
    »Hat Eri das zu dir gesagt?«
    »Nein. Das habe ich mir erst hier und jetzt aus ein paar Sachen, die sie gesagt hat, zusammengereimt, aber so abwegig kommt es mir nicht vor.«
    »Aber in manchem übertreibst du«, sagt Mari. »Wahrscheinlich hatte ich im Vergleich zu Eri wirklich das unabhängigere Leben. Das weiß ich auch. Aber mein wirkliches Ich, das sich daraus ergeben hat, ist nahezu ohne Kraft. Meine Kenntnisse sind ungenügend, und was die Intelligenz angeht, ist bei mir nicht viel los. Eine Schönheit bin ich auch nicht, und niemand mag mich besonders. Man kann also sagen, ich habe mich nicht richtig durchgesetzt. Ich schwanke auf unsicheren Beinen durch eine enge Welt. Worum sollte mich Eri also bitte schön beneiden?«
    »Du befindest dich sozusagen noch in der Vorbereitungsphase. So leicht kommt man nicht zu einem Ergebnis. Vielleicht bist du ein Typ, der Zeit braucht.«
    »Sie war auch neunzehn«, sagt Mari. »Wer?«
    »Das nackte, blutüberströmte chinesische Mädchen, das im >Alphaville< von einem unbekannten Mann verprügelt wurde, der dann auch noch ihre ganzen Sachen gestohlen hat. Sie war sehr hübsch. Aber in der Welt, in der dieses Mädchen lebt, gibt es keine Vorbereitungszeit. Niemand nimmt darauf Rücksicht, ob sie ein Typ ist, der Zeit braucht.«
    Takahashi lässt sich das durch den Kopf gehen und hört schweigend zu.
    »Ich habe mich vom ersten Moment an sehr stark zu ihr hingezogen gefühlt und hätte gern Freundschaft mit ihr geschlossen. Wären wir uns an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit begegnet, dann wären wir bestimmt gute Freundinnen geworden. So habe ich noch kaum jemandem gegenüber gefühlt. Besser gesagt, noch nie.«
    »Hm.«
    »Aber unsere Welten sind einfach zu verschieden. Dem wäre ich niemals gewachsen, wie sehr ich mich auch bemühen würde.«.
    »Ja, allerdings.«
    »Obwohl ich ihr nur so kurz begegnet bin und kaum mit ihr gesprochen habe, kommt es mir so vor, als hätte sie einen Platz in mir gefunden. Als wäre sie zu einem Teil von mir geworden. Ich kann das nicht gut erklären.«
    »Du konntest den Schmerz dieses Mädchens spüren.«
    »Kann sein.«
    Takahashi grübelt über etwas nach.
    »Was hältst du von diesem Gedanken?«, fragt er dann. »Im Grunde weißt du nicht, wo deine Schwester ist, aber vielleicht ist sie in einem anderen Alphaville, und ihr wird von jemand sinnlos Gewalt angetan. Und ihr Schrei ist lautlos, und unsichtbar fließt Blut.«
    »Meinst du das metaphorisch?«
    »Vielleicht«, sagt Takahashi.
    »Hattest du diesen Eindruck, als du mit Eri gesprochen hast?«
    »Sie ist mit allen möglichen Schwierigkeiten allein und kommt nicht weiter. Sie sucht nach Hilfe. Man spürt, dass sie sich quält. Das war mehr als ein Eindruck, ich war mir sicher.«
    Mari steht von der Bank auf und schaut in den Nachthimmel. Dann geht sie zu den Schaukeln hinüber und setzt sich auf eine. Übertrieben laut rascheln ihre gelben Turnschuhe durch das dürre Laub. Sie umfasst kurz die dicken Seile der Schaukel, um ihre Stärke zu prüfen. Auch Takahashi steht auf, geht durch die Blätter und setzt sich neben sie.
    »Eri schläft jetzt«, sagt Mari in vertraulichem Ton. »Sehr tief«
    »Alle schlafen um diese Zeit.«
    »So meine ich es nicht«, sagt Mari. »Sie scheint nicht mehr aufzuwachen.«

12
    03:58 Uhr
    Shirokawas Büro.
    Shirokawa liegt mit freiem Oberkörper auf einer Yogamatte auf dem Boden und trainiert seine Bauchmuskulatur. Hemd und Krawatte hat er über die Stuhllehne gehängt, Brille und Uhr liegen nebeneinander auf dem Schreibtisch. Er ist schlank, ohne ein überflüssiges Gramm Fett, aber seine Brust ist breit. Harte Muskeln treten hervor. Nackt wirkt er völlig anders als angezogen. Unter tiefen, aber kurzen Atemzügen lässt er in rascher Folge den Rumpf nach oben schnellen, abwechselnd nach rechts und links. Auf Brust und Schultern

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