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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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Leuten vor. Die Gedichte, die nicht gut sind, vergesse ich schnell wieder. Vergisst du nicht auch Sachen, die du nicht gut kannst?
    Um ebenso nachdenklich zu wirken wie er, nickte Zabi bedächtig. Bevor sie antworten konnte, bemerkte er ihre Hände.
    – Warum sind deine Finger rot?
    – Ich habe Farbe angerührt.
    Zabi wollte Sayed beeindrucken und platzte heraus:
    – Wusstest du, dass die Farbe Rot bitter schmeckt?
    Sie war überrascht, als er interessiert fragte:
    – Wirklich?
    – Ich habe den ganzen Vormittag über Farbe gemacht und ein paar Mal davon probiert.
    – Woraus ist die Farbe?
    – Aus Granatapfelschalen.
    Zabi freute sich, dass sie nichts Dummes gesagt hatte. Sayed kratzte sich im Gesicht.
    – Rot hat einen bitteren Geschmack … Das könnte ich für ein Gedicht brauchen.
    Zabi staunte.
    – Ehrlich?
    – Die Flagge der Sowjetunion ist rot, und wenn man sagt, Rot würde bitter schmecken, ist das was Politisches.
    Er sah Zabi an.
    – Weißt du, was die Sowjetunion ist?
    – Das sind die Besatzer.
    Er nickte erfreut.
    – Die Besatzer! So kann ich mein Gedicht nennen. Die erste Zeile könnte vielleicht lauten …
    Ohne den Satz zu beenden, schloss er tief konzentriert die Augen und überlegte.
    – Die rote Flagge so bitter wie …?
    Zabi schlug vor:
    – Granatapfelschalen?
    Sayed lachte.
    – Klingt das für unsere Feinde nicht zu nett, wenn wir sagen, ihre Ideologie wäre wie unsere Nationalfrucht? Eine Frucht, die hier wächst, auf afghanischem Boden, können wir nicht mit der Flagge der Besatzer vergleichen.
    Damit ging Sayed weiter. Zabi ließ er stehen, er hatte sie offenbar vergessen. Weil sie noch mehr hören wollte und das Gespräch nicht mit ihrem dummen Vorschlag enden sollte, lief sie ihm nach.
    – Singst du mir ein Gedicht vor?
    Sayed schüttelte den Kopf.
    – Kleinen Mädchen singe ich meine Gedichte nicht vor. Ich muss an meinen Ruf denken. Ich singe nur für die, die im Widerstand kämpfen.
    Getroffen blieb Zabi stehen. Sayed bemerkte ihre Reaktion.
    – Sei nicht traurig deswegen.
    Zabi kamen fast die Tränen. Sie hasste es, ein Mädchen zu sein.
    Er sagte mit sanfterer Stimme:
    – Wusstest du, dass mein Vater meine Gedichte nicht ausstehen konnte? Er hat mich immer geschlagen und gesagt, ich soll ruhig sein. Er hat gesagt, Singen und Gedichte wären was für Frauen, ich sollte mehr wie meine Brüder sein. Er hat recht, manche Gedichte sind was für Frauen, Wiegenlieder zum Beispiel oder ein nakhta, das Frauen singen, wenn sie einen toten Helden betrauern. Das nakhta hat mich auf die Idee gebracht, ich könnte Gedichte für Helden verfassen, nicht über Trauer, sondern über Siege, wenn sie die Besatzer schlagen. Gedichte dürfen nicht nur hübsch und nett anzuhören sein. Sie sollten etwas bewirken. Sie brauchen Wut.
    Sayed zupfte an den Blättern der Bäume und fuhr fort:
    – Diese neuen Gedichte habe ich meinem Vater vorgesungen. Sie haben seine Meinung geändert. Er hat mich nicht mehr geschlagen. Er hat mir immer mehr darüber erzählt, was in unserem Land passiert, damit meine Texte genauer sind. Seitdem singe ich Gedichte über den Widerstand, sie sind ein Protest dagegen, wie unsere afghanischen Brüder und Schwestern behandelt werden. Mein Vater ist stolz auf mich. Er bringt Widerstandkämpfer aus den Bergen mit. Sie erzählen ihre Geschichten, und ich mache Gedichte daraus. Ich stelle eine gedichtete Geschichte über unseren Krieg zusammen, aus Tausenden von Gedichten. Mein Vater will mit mir auf Reisen gehen, durch die Berge, damit ich sie in den Lagern vortragen kann. Wusstest du, dass meine Brüder dort kämpfen?
    – Nein, das wusste ich nicht.
    – Sie kämpfen gegen die Sowjets. Samir hat mir erzählt, dass er einen Staudamm in die Luft jagen will, damit das ganze Wasser die russischen Panzer wegspült. Bald kommen sie zurück ins Dorf, dann mache ich aus ihren Siegen die besten Gedichte, die ich je verfasst habe. Dann kommt das ganze Dorf und hört zu.
    Sayed hockte sich neben Zabi und fragte im Flüsterton, als wäre noch jemand im Obstgarten, der sie belauschen könnte:
    – Willst du ein Gedicht hören, für das man dich verhaften und erschießen würde, wenn du es in Kabul auf der Straße singst? Wenn ich es dir vorsinge, darfst du es keinem erzählen, niemand darf das wissen. Versprichst du, dass du es für dich behältst?
    Zabi war nervös und aufgeregt, und um nicht ängstlich zu wirken, nickte sie.
    – Ich verspreche

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