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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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Beschuss geraten.
    Leo kannte nicht alle geheimen technischen Details der Krokodil-Kampfhubschrauber. Aber sie waren gepanzert und die Rotorblätter mit Titan verstärkt. Mit Gewehren oder Maschinengewehren könnte man sie nicht zum Absturz bringen.
    – Wie schwer war der Beschuss?
    Der Hauptmann trat mit der Fußspitze in den Staub.
    – Wir wollen hier nicht untersuchen, ob unsere Piloten eine falsche Entscheidung getroffen haben. Meiner Ansicht nach war der Einsatz von Aerosolbomben angemessen. Wir sind hier, um diese Menschen davon zu überzeugen, dass es besser und klüger ist, nicht gegen uns zu kämpfen. Dass ihnen das nur millionenfach Unheil bringt.
    Der Begriff, den der Hauptmann verwendet hatte, sagte Leo nichts. Er fragte:
    – Aerosolbomben?
    Davon hatte er noch nie gehört. Der Hauptmann warf Nara einen kurzen Blick zu. Sie hatte zwar Leo ausspioniert und den Deserteur gemeldet, aber sie war immer noch eine Fremde, und er würde ihr nur bis zu einem gewissen Punkt trauen. Er sprach leise und schnell, damit sie seine Antwort auf Russisch nicht verstehen konnte.
    – Sie produzieren eine längere Druckwirkung. Die Chance, so eine Explosion zu überleben, ist viel geringer. Sie entziehen der Umgebungsluft den Sauerstoff. Normale Sprengstoffe enthalten einen großen Anteil Oxidationsmittel. Thermobare Waffen bestehen fast ausschließlich aus Brennstoff.
    Als er dem Hauptmann zuhörte, begriff Leo, warum die Strategen des Militärs so sicher waren, dass sie diesen Krieg gewinnen würden. Ihre Waffen waren derart ausgefeilt, dass alles andere als ein Sieg unlogisch erschien. Er fragte:
    – Um sicherzugehen, dass niemand überlebt?
    – Sie wurden für Höhlensysteme entwickelt. Wenn die Bombe nicht die ganze Höhle zerstören kann, entzieht sie ihr wenigstens die Luft und macht aus dem sicheren Versteck eine Todesfalle.
    Leo fragte nach:
    – Und bei Dörfern?
    Er rechnete nicht mit einer Antwort, denn der Hauptmann ging bereits weg, aber er begriff den Nutzen auch so. Diese Waffen sorgten dafür, dass es keine Überlebenden gab, und reduzierten die sichtbaren Folgen des Angriffs, ohne das Einsatzziel zu gefährden.
    Nara ging in die Hocke. Auf der Erde lag ein stählerner Kochtopf, geschwärzt, aber sonst unbeschädigt. Sie rieb einen kleinen Flecken davon sauber.
    In der Nähe der früheren Dorfmitte bildete sich ein flacher Aschesee. Die giftige Brühe schwappte gegen Leos Füße. Während des Angriffs war auch das Bewässerungssystem für die Obstgärten zerstört worden. Das Wasser floss immer noch aus den Bergen herunter, nur hatte es jetzt kein Ziel mehr. Leo schöpfte mit der Hand etwas Wasser. Es rann durch seine Finger und hinterließ einen Schmutzfilm auf seiner Haut. Er zerrieb den Rückstand mit dem Daumen. Der Hauptmann wurde ungeduldig.
    – Wir müssen in die Berge gehen, mit den Leuten reden und herausfinden, was sie wollen. Natürlich pflanzen wir neue Obstgärten, säubern das Wasser und verteilen das Land an die Verwandten der Toten. Sie führen die Verhandlungen.
    Leo stellte sich neben Nara.
    – Nara und ich gehen allein. Am besten bleiben Sie mit Ihren Männern hier.
    Ohne darüber nachzudenken, schüttelte der Hauptmann den Kopf.
    – Es könnte gefährlich werden.
    – Nicht gefährlicher, als wenn Sie mitkommen.
    Der Hauptmann holte ein Fernglas heraus und betrachtete das nächstgelegene Dorf.
    – Sie bekommen entweder ein Krankenhaus oder eine Schule. Zu viel Aufhebens ist nicht nötig.
    *
    Das Dorf, das dem Ort des Massakers am nächsten lag, hieß Sau. Es bestand aus einer Ansammlung von Häusern, die mehrere Hundert Meter über der Talsohle am Berg standen. Von dieser Position aus hatten die Dorfbewohner beobachten können, wie zwei Hubschrauber über ihren Nachbarn schwebten, Raketen abfeuerten, Bomben abwarfen, wie die Flammen die Häuser und Bäume verzehrten. Das Dorf sah nicht aus, als wäre es weit entfernt, aber sie brauchten beinahe eine Stunde, um das verbrannte Gelände zu überqueren und den terrassenförmigen Hang hinaufzusteigen. Dabei folgten sie dem Betonrand des Bewässerungskanals. Der Hauptmann hatte nicht nur darauf bestanden, sie zu begleiten, er hatte auch seine fünf Soldaten mitgenommen. Leo wunderte sich über dieses Vorgehen. Sicher bestand Gefahr, aber im Dorf selbst war ein Hinterhalt unwahrscheinlich. Zur Taktik der Mudschaheddin gehörte es, sowjetische Stellungen anzugreifen, ohne dem Feind ein Ziel für Vergeltungsschläge zu geben.

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