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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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man solle ihn sich mit bester Empfehlung des Hotels schmecken lassen. Soja hatte blitzschnell die Limonade getrunken und die restlichen Schokoriegel versteckt. Als Mikael auftauchte, um die Süßigkeiten zu konfiszieren, war nichts mehr übrig. Er war wütend geworden und hatte das ganze Zimmer gründlich abgesucht, aber nichts gefunden, weil Soja die Bonbons und Schokolade draußen auf dem Fenstersims aufgereiht hatte. Leo wäre stolz gewesen.
    Jetzt redete Mikael sich wegen des Fernsehers in Rage, dessen Stecker er gezogen hatte, als könnte Soja ihn nicht einfach wieder einstöpseln.
    – Du darfst die Wirkung ihrer Sendungen nicht unterschätzen. Sie sollen den Verstand ihrer Bürger betäuben. Das ist nicht nur Unterhaltung, das ist eine entscheidende Waffe, um ihre Macht zu erhalten. Die Bürger dieses Landes werden mit stumpfsinnigen Fantasiewelten eingelullt, damit sie keine tiefer gehenden Fragen stellen.
    Soja machte es zwar Spaß, ihn zu ärgern, und sie fand es unterhaltsam, wenn er wütend wurde, trotzdem reichte es langsam. Sie ging zur Tür, damit er sich schneller verabschiedete. Er sah sich im Zimmer um.
    – Wo ist Elena?
    – Im Badezimmer. Sie scheißt gerade. Um die Amerikaner zu beleidigen. Das müsste dich eigentlich freuen.
    Er wurde verlegen.
    – Du nimmst nur wegen deiner Mutter an dieser Reise teil. Es war ein Fehler, dich mitzunehmen. Du bist ganz anders als deine Schwester. Und jetzt übe deine Lieder. Das Konzert heute Abend ist wichtig.
    Dann ging er.
    Verärgert über den Vergleich mit Elena knallte Soja die Tür zu. Wie die meisten Parteifunktionäre herrschte er, indem er Gräben zwischen Menschen zog, zwischen Familienmitgliedern und Freunden. Sie stand ihrer Schwester näher als jedem anderen, und kein Staatsdiener durfte etwas anderes behaupten. Sie drückte ein Ohr gegen die Tür, um zu hören, ob er wirklich gegangen war. Sie traute ihm zu, dass er sich vor Türen herumdrückte und belauschte, was die Leute über ihn dachten. Als sie nichts hörte, ging sie in die Hocke und spähte unter der Tür hindurch. Sie sah keinen Schatten, nur einen Lichtstreif.
    Dann ging sie an der Badezimmertür vorbei und rief ihrer Schwester zu:
    – Alles in Ordnung bei dir?
    Elena antwortete leise.
    – Ich komme gleich raus.
    Sie steckte schon seit einer Weile im Bad. Soja stöpselte den Fernseher wieder ein, kehrte auf die Bettkante zurück und schaltete das Gerät ein, wobei sie die Lautstärke nur wenig herunterdrehte. Vielleicht sollte das amerikanische Fernsehen wirklich als Gehirnwäsche für die Zuschauer fungieren. Aber nur jemand, dem der Kreml eine Gehirnwäsche verpasst hatte, wäre nicht neugierig.
    *
    Obwohl ihr Magen leer war, hatte Elena das Gefühl, sie müsste sich noch einmal übergeben. Sie ließ Wasser in ein Glas laufen und spülte sich den Mund aus. Sie war schrecklich durstig, wusste aber nicht, ob sie auch nur einen Schluck bei sich behalten konnte, und spuckte das Wasser wieder aus. Sie trocknete sich das Gesicht mit einem Handtuch ab und sammelte sich. Erschreckt merkte sie, wie blass sie aussah. Dann atmete sie tief durch. Sie konnte es nicht länger hinausschieben.
    Sie öffnete die Tür, ging zum Schrank und durchwühlte ihn in der Hoffnung, ihre Schwester wäre immer noch in das Fernsehprogramm vertieft. Soja rief:
    – Was suchst du?
    – Meinen Badeanzug.
    – Willst du zum Pool?
    – Da gehen die meisten Leute schwimmen, oder?
    Mit der schnippischen Bemerkung wollte Elena ihre Nervosität überspielen, aber sie passte nicht zu ihr, und die Worte klangen schroff. Soja bemerkte scheinbar nichts.
    – Soll ich mitkommen?
    Elena blaffte zurück:
    – Nein.
    Soja stand auf und sah ihre Schwester unverwandt an.
    – Was ist los?
    Die barsche Antwort war ein Fehler gewesen.
    – Nichts. Ich gehe jetzt schwimmen. In ein, zwei Stunden bin ich wieder hier.
    – Mutter kommt zum Mittagessen zurück.
    – Bis dahin bin ich fertig.
    Dann verschwand Elena, in der Hand ihre Sporttasche.
    Als sie mit raschen Schritten losging, blickte sie den Gang zu beiden Seiten hinunter, um zu sehen, ob sie beobachtet wurde. Statt zum Fahrstuhl zu gehen, blieb sie vor Zimmer 844 stehen und drückte die Klinke herunter. Es war nicht abgeschlossen. Sie betrat das Zimmer und machte die Tür hinter sich zu. Es war dunkel im Raum, die Vorhänge waren zugezogen. Mikael Iwanow trat aus den Schatten und legte die Arme um sie. Sie lehnte den Kopf gegen seine Brust und

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