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Agent 6

Titel: Agent 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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flüsterte:
    – Ich bin bereit.
    Er legte ihr eine Hand unter das Kinn und hob ihren Kopf, damit sie ihn ansah. Dann küsste er sie.
    – Ich liebe dich.

Manhattan
Hauptsitz der Vereinten Nationen
First Avenue & East 44th Street
Am nächsten Tag
    Die Ehrfurcht, die Raisa empfand, hatte nichts mit der Architektur des Gebäudes zu tun – der Hauptsitz der Vereinten Nationen war weder besonders groß noch schön –, sondern nur damit, hier zu sein. Sie verbrachte ihren ersten Tag in New York City, und das Gefühl, in einem anderen Land zu sein, in dem Land, das als ihr Hauptfeind beschrieben wurde, war überwältigend. Als sie mitten in der letzten Nacht in ihrem Hotelzimmer aufgewacht war, hatte sie im ersten Moment nicht gewusst, wo sie war, und im Bett nach Leo getastet. Dann hatte sie die Vorhänge zurückgezogen und nicht mehr gesehen als eine kleine Seitenstraße, einen Bruchteil der Skyline, die Ecke eines Büroturms – nur Fenster und Klimaanlagen. Trotzdem hatte sie stumm gestaunt, als lägen vor ihr schneebedeckte Berge.
    Sie betrat die Eingangshalle des UN -Gebäudes. Als einziges Mitglied ihrer Delegation sollte sie an einer Vorbesprechung teilnehmen und den Saal der UN -Vollversammlung besichtigen, in dem am Abend das Konzert stattfand. Sie sollte die Details des Auftritts mit hochrangigen sowjetischen Diplomaten besprechen, die die schwierigen Verhandlungen mit den amerikanischen Behörden geführt hatten. Raisa rechnete mit einem zähen Treffen. Die Diplomaten würden jedes Detail durchgehen wollen. Das Konzert an diesem Abend für die UN -Gesandten, Vertreter aus beinahe jedem Land, sollte das wichtigste diplomatische Ereignis der Reise werden. Für den folgenden Tag war ein zweites Konzert für ein öffentliches Publikum geplant. Es sollte mitgeschnitten, gefilmt und in der ganzen Welt übertragen werden. Danach sollte die Delegation mit dem Zug nach Washington fahren und dort Abschlusskonzerte geben.
    Im Zuge der Verhandlungen, die einem Schachspiel glichen, hatten die sowjetischen Behörden darauf bestanden, dass die Gruppe weder in New York noch in Washington an einer Stadtführung teilnahm. Die Funktionäre in Moskau wollten um jeden Preis Fotos von sowjetischen Schülern verhindern, die staunend zu Wolkenkratzern oder der Freiheitsstatue hinaufstarrten oder sich auf Hotdogs und Brezeln stürzten, als seien sie halb verhungert. Solche Bilder würden ausgenutzt werden. Obwohl die Reise offiziell dem Frieden diente, waren beide Seiten auf ein ikonisches Bild aus, das die Reise im jeweils eigenen Sinne deuten würde – ein Bild, das um die Welt gehen und im Gedächtnis bleiben würde. Aus dieser Sorge heraus waren zwei Funktionäre damit beauftragt, alle öffentlichen Auftritte der Gruppe zu überwachen, um jederzeit einschreiten zu können. Raisa interessierten diese Spielchen nicht, und sie war verärgert darüber, dass sie zum ersten und wahrscheinlich letzten Mal in New York war und dabei viele Sehenswürdigkeiten nicht besichtigen durfte. Sie überlegte ernsthaft, ob sie Elena und Soja nachts aus dem Hotel schmuggeln und mit ihnen einen inoffiziellen Rundgang machen sollte. Es würde nicht einfach sein, an den Wachleuten vorbeizukommen. Ein Risiko wäre es mit Sicherheit. Sie schob den Gedanken vorerst beiseite und konzentrierte sich auf das bevorstehende Treffen.
    Obwohl sie in Moskau wohnte und in einer nicht unwichtigen Position arbeitete, machte sie sich Sorgen, sie könnte provinziell wirken. Von den großzügigen Spesen, die ihr gewährt wurden, hatte sie sich neu eingekleidet. Sie hatte ein stahlgraues Kostüm gekauft, das sie gerade zum ersten Mal trug. Sie fühle sich unwohl darin, als würde sie Kleidung tragen, die jemand anderem gehörte. In Moskau hatten die exklusiven Geschäfte vorübergehend für sie und die anderen Lehrer, die mitfuhren, die Türen geöffnet; eine einmalige Ausnahme, damit alle vorzeigbar aussahen. Trotzdem hatte sie keine Ahnung von internationaler Mode, und auch wenn die Verkäuferinnen im Laden ihr erzählt hatten, was leitende Angestellte in New York zur Zeit trugen, vermutete Raisa, dass sie gar nicht wussten, wovon sie redeten. Gleich würde sie Diplomaten treffen, die ihr Leben im Kreis der wichtigsten Menschen der Welt verbrachten. Sie stellte sich vor, sie würde den Raum betreten und sofort als Frau mit wenig Geld abqualifiziert werden, die selten aus Moskau herauskam. Die Diplomaten würden lächeln, höflich und herablassend, und überzeugt

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